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Über Blutlinien und Generationenverträge

Die Übergabe eines landwirtschaftlichen Betriebes birgt oft komplizierte Herausforderungen: Die Verhandlung zwischen Tradition und Moderne, gemeinsam Leben und Arbeiten sowie die Veränderung der Familiendynamik durch den Führungswechsel in den Generationen. Ein Blick auf den Prozess der Hofübergabe. 

Die Frage der Hofnachfolge stellt sich zwischen den Generationen meist schon früh. In Österreich werden 90 Prozent der Bauernhöfe innerhalb der Familie weitergegeben. Tamara Kögl, 37, ist in der Südsteiermark auf dem Weingut ihrer Eltern aufgewachsen. „Meine Familie hat den Betrieb zunächst im Nebenerwerb geführt. Mein Vater war Schlosser und meine Mutter die Hofbesitzerin. Sie hat eine Weinbauschule absolviert und die Gärten bewirtschaftet. Bei uns übernehmen immer die Frauen den Hof und die Männer kommen dazu“, erzählt sie lächelnd. Ihre Eltern hätten ihr stets die Freiheit über die Entscheidung gelassen, ob sie den Betrieb übernehmen möchte. Es hätte ihr jedoch, sagt sie, im Herzen wehgetan, den Betrieb zu verkaufen und ihn an Menschen zu übergeben, denen die emotionale Bedeutung des Hofes fremd ist. 

Matthias Gaißberger, 32, aus Adlwang in Oberösterreich hat den Hof seiner Eltern offiziell vor zwei Jahren übernommen. „Meine beiden Schwestern wollten den Betrieb nie übernehmen. Dann war schnell klar, dass ich als Hoferbe vorgesehen bin.“ Es war nicht immer gegeben, dass das Interesse der Kinder im Vordergrund steht: „Früher war es so, dass das älteste Kind den Hof übernommen hat“, sagt Gaißberger.

Obwohl ihre Entscheidung bereits mit 14 Jahren feststand, besuchte Kögl keine klassische Weinbauschule, sondern eine HBLA für Fremdsprachen und Wirtschaft. Die Weinbauschule wurde später als Kolleg nachgeholt – der Weg zum Antritt der Nachfolge ist sehr individuell. Für Gaißberger startete die landwirtschaftliche Ausbildung mit der Schule. Nach seiner Matura arbeitete der Landwirt zunächst Vollzeit als Angestellter und übernahm den Hof seiner Eltern schrittweise. „Dadurch, dass ich zehn Jahre Arbeitserfahrung sammeln konnte und den Hof erst mit 30 übernommen habe, war schon eine gewisse Altersdynamik vorhanden. 2020 habe ich den Betrieb dann im Vollerwerb geführt und die Hälfe an meine Frau übergeben.“ 

Tag X – Die Hofübergabe als Prozess

Eduard Ulreich ist Mitgründer der Beratungsinitiative Zukunft Bauernhof und begleitet Familien bei der Hofübergabe. Zukunft Bauernhof ist aus dem steirischen Projekt „Zwei Systeme – eine Welt – Zukunft für bäuerliche Familien“ entstanden. Bei einer Hofübergabe spielen nicht nur rechtliche, sondern auch zwischenmenschliche Aspekte eine Rolle, weiß Ulreich. „In Österreich sind die regionalen Landwirtschaftskammern die ersten Ansprechpersonen, wenn es um Übergaben geht. Sie haben dort alle fachlichen Informationen, geben Ratschläge und bereiten – wenn erwünscht – die Übergabeverträge mit vor. Wir arbeiten auch mit den Kammersekretären zusammen“, sagt Ulreich. Zukunft Bauernhof sei dann gefragt, wenn die Schwierigkeiten bei einer Übergabe so groß sind, dass eine Lösung sehr lange dauern würde. „Wir haben zumindest eineinhalb oder drei Jahre Zeit, um mit Familien zu arbeiten“, erklärt er. 

Eine Hofübergabe ist ein komplexes System aus Prozessen und Dialogen und „passiert nicht von heute auf morgen“, bestätigt auch Tamara Kögl. „Meine Mutter, die Hofbesitzerin, ist in Pension gegangen. Es war logisch, dass es Zeit ist, an mich zu übergeben. In der Theorie zumindest. Die Praxis zeigt, dass so eine Übergabe nie leicht ist, weil es sich dabei um so ein emotionales Thema handelt. Wir haben sicher drei Jahre gebraucht, bis die Hierarchie im Betrieb neu geordnet war. Früher haben meine Eltern immer gesagt, wie es läuft, während ich mitgearbeitet habe. Dann gibt es den Tag X, an dem unterschrieben wird. Danach sagt plötzlich eine andere Person, wie es läuft.“ Der Tag X hatte für Kögl eine größere Bedeutung als gedacht. „Ich habe schon vorher im Betrieb mitgearbeitet, aber die Unterschrift des Übernahmevertrags hat von der Energie her einen riesigen Unterschied gemacht. Es war als hätten meine Eltern einen Rucksack abgelegt und ich ein Rucksack angelegt. Mein Verantwortungsgefühl dem Betrieb gegenüber hat sich von heute auf morgen schlagartig verändert. Es war mehr Biss und mehr Interesse da. Es ist kaum zu glauben, aber eine Unterschrift verändert das ganze Gefühl und Gefüge am Hof.“ 

Die Veränderung der Dynmaik, das Ablegen des Rucksackes, kann für die Eltern emotional schwer sein: „Auch wenn die übernehmende Generation es nicht so meint: Mit jeder Änderung fühlt sich die vorherige Generation kritisiert. Dabei heißt es nicht, dass es in der Vergangenheit schlecht gemacht wurde, sondern nur, dass man neue Wege geht. Das ist echt eine Herausforderung und ich glaube, eine Hofübernahme verläuft nie völlig reibungslos“, sagt Kögl. 

Control, I’m here 

Auch Ulreich bestätigt, dass eine Übergabe die Bereitschaft verlange, loszulassen. Es reiche nicht zu sagen: „Ich übergebe dir den Hof, aber ich will noch weiterhin alles bestimmen.“ „Es heißt zurückzutreten und nicht von den nächsten zu erwarten, dass sie alles genauso machen, wie es von einem selbst gemacht wurde“, erzählt er. Es hake oft an dem Vertrauen zur nächsten Generation: „Einer Familie, die ihren Betrieb über Jahrzehnte lang aufgebaut hat, fällt es schwer, die Zügel abzugeben. Denn die meisten Menschen mögen es, Sachen unter Kontrolle zu haben. Bei der Hofübernahme ist das Kind nicht nur Erwachsener, sondern auch Entscheider“, erklärt Ulreich. 

Die Familie Gaißberger ließ sich beim Übergabeprozess von der Landwirtschaftskammer  begleiten. „Man erhält ein fix fertiges Konzept, mit dem man zum Notar geht und die Übergabe vorbereitet. Ein wichtiger Punkt waren die weichenden Erben, meine Schwestern. Mit ihnen haben meine Eltern eine Verzichtserklärung abgewickelt.“ 

Die Kinder, die nicht die Nachfolger:innen des Bauernhofs sind, werden die „weichenden Erben“ genannt. Sie erhalten bei der Hofübergabe entweder eine Abfindung oder unterschreiben eine Erklärung, in der sie auf ihr Erbe verzichten. Bei der Hofübergabe/-nahme sei die Kommunikation zwischen den Generationen sehr wichtig, so Ulreich. „Wenn eine gute Kommunikation gegeben ist, dann kann das entscheidend sein. Es ist auch hilfreich, wenn Eltern und Kinder sich an Situationen erinnern, in denen sie gut miteinander zurecht gekommen sind. Eine solche Erinnerung ist wie ein kleines Pflänzchen, das wächst und auf dessen Wachstum man aufbauen kann.“ 

Der Wandel im Betrieb

„Nach Stationen bei anderen Weinbaubetrieben war der Tatendrang sehr groß, den eigenen Betrieb umzustrukturieren“, erzählt Tamara Kögl. Familie Kögl baute im Jahr 2000 zusätzliche Gästezimmer und wechselte vom Neben- zum Haupterwerb. Davor war alles ein bisschen anders: „Wir hatten einen ganz typischen kleinen südsteirischen Familienbetrieb mit vier Hektar an Weingärten. Teilweise haben wir den Wein selbst gemacht oder die Trauben verkauft. Dazu gab es noch fünf Gästezimmer und das war es“, sagt die Weinbäuerin. 

Das 300 Jahre alte Haus wurde lange Zeit nur zu einem Drittel bewohnt, der Rest war nicht renoviert, aber erhaltenswert. Ihr Glück sei gewesen, dass ihre Großeltern in den 70er Jahren kein Geld hatten, um es in das Haus zu investieren und dass bei ihren Eltern Uneinigkeit herrschte, ob sie das Haus abreißen oder renovieren sollten. Dadurch hatte Kögl die Möglichkeit, das Gebäude nach ihren Vorstellungen umzugestalten. Zwölf Jahre hat es gedauert, bis ihre Ideen umgesetzt und das Haus fertig war. Eine Buschenschank wurde aufgesperrt. „Ich finde, so ein altes Haus hat eine Seele, die man keinem neuen Haus einhauchen kann. Das Unglück einer Generation war hier das Glück einer anderen.“ Tamara Kögl erweiterte die Weingärten auf zehn Hektar und stellte den Betrieb 2013 auf biologische Anbauweise um. 

Anders als es bei anderen Betrieben oftmals der Fall ist, standen Tamara Kögls Eltern dieser Veränderung offen gegenüber und sie spricht einen weiteren Punkt an: „Es ist nicht die Umstellung der Bewirtschaftung das Herausfordernde, sondern alle Menschen am Hof auf diese Reise mitzunehmen. Daran scheitert es meistens.“ Mittlerweile gibt es noch zwei Ferienstudios und einen Verkostungsraum. Außerdem ist ein Freiland-Schweine-Gehege in Planung. „Mein Idealbild der nachhaltigen Landwirtschaft ist, dass man möglichst viel selbst produziert. Das ist zwar aufwändiger, aber interessiert mich mehr.“ 

Dass nach der Übergabe ein kompletter Wechsel der Generationen stattfindet, ist selten der Fall. „Wenn ein Hof übergeben wird, heißt das nicht, dass die Eltern weg sind. Häufig arbeiten sie weiter im Betrieb mit. Ein Familienbetrieb kann es sich im Normalfall nicht leisten, auf eine Generation zu verzichten. Für viele Familien ist es wirklich schlimm, wenn jemand krank wird, denn dann muss ein:e Mitarbeiter:in gesucht werden und das ohne Budget. Viele unterschätzen das leider“, sagt Tamara Kögl.

Auch Gaißberger arbeitet seit der Übernahme eng mit seinen Eltern zusammen. Der Tag beginne damit, dass meistens zu dritt in den Stall gegangen wird, eine Person bleibe bei den Kindern. „Dann sitzen wir zu viert beim Frühstück und planen den Tag. In einer WhatsApp-Gruppe halten wir uns über Termine oder Futterlieferungen auf dem Laufenden“, schildert er seinen Alltag. Die Familie arbeitet nicht nur zusammen, sondern teilt sich auch ein Haus. „Derzeit lebe ich mit meiner Frau, meinen zwei Töchtern und meinen Eltern am Hof. Das Schöne am gemeinsamen Leben ist das Familienbild, das wir erleben. Ich bekomme sehr viel von meinen Töchtern mit, weil ich in meiner Tagesgestaltung sehr flexibel bin. Wir leben durch den Umbau momentan auf komprimiertem Raum, aber meine Eltern sind sehr rücksichtsvoll. Wenn man Kinder hat, ist man unglaublich froh, wenn es noch jemanden gibt, der auf die Kinder aufpasst. Bei der Arbeit sind meine Eltern auch noch sehr fleißig. Ich habe ihnen geholfen und jetzt helfen sie uns. Das ist ein Generationenvertrag“, sagt Gaißberger. Seine Eltern ermöglichten es ihm, sich mit neuen Ideen im Betrieb auszuprobieren. „Die größte Veränderung war sicher pflanzenbaulich, weil mich das sehr interessiert. Ich durfte auf unseren Feldern viel experimentieren. Da ist auch viel daneben gegangen, was ökonomische Folgen hatte. Aber meine Eltern ließen mir das durchgehen. Am meisten Bestand hatte der Ölkürbis, der damals in Oberösterreich noch eine ganz kleine Nische war. Bei uns ist er geblieben und jetzt vermarkten wir direkt unser Kürbisöl“, sagt Gaißberger. 

„Eigentlich der schönste Beruf der Welt“

Jede Generation müsse sich erstmal ausprobieren, dass hier auch Fehler passieren können, ist klar. Ein Fehler, der von Eltern oder Großeltern häufig gemacht wird, ist, dass sie ihren Kindern sehr viel Negatives über den Betrieb erzählen. „Wenn die Eltern jahrelang schlecht über den Betrieb und die Arbeit gesprochen haben und dann den Hof übergeben wollen, dann ist die Bereitschaft zur Übernahme oft nicht da“, sagt Ulreich von Zukunft Bauernhof.

Gaißberger hatte das Glück, dass es bei ihm anders war. Seine Eltern seien mit einem positiven Zugang an die Landwirtschaft herangegangen. Ständiges Beschweren sei für die Hofübergabe seiner Meinung nach nicht förderlich. Er selbst wolle seinen Kindern ebenfalls die positiven Aspekte aufzeigen. „Es würde mich freuen, wenn sich eine meiner Töchter dafür entscheidet, den Hof zu übernehmen. Aber es stresst mich nicht mehr. Früher hat man noch viel in Blutlinien gedacht und es gab viel Druck von außen. Heute kann ein Betrieb auch außerfamiliär übergeben werden.“ Für Kögl ist die Übergabe des Weinguts auch schon Thema. „Wenn meine Kinder den Betrieb übernehmen wollen, dann ist es mir wichtig, dass sie zwischen 20 und 25 raus in die Welt kommen, in anderen Branchen arbeiten, verschiedene Kulturen kennenlernen und Kontakte knüpfen. Ich selbst war sechs Monate in Frankreich und zehre heute von dieser Reise, weil sie mir wahnsinnig viel Kraft und Mut gegeben hat.“

Der Beruf Landwirt:in habe mittlerweile ein schlechtes Image bekommen und das zu Unrecht, meint Kögl: „Es ist eigentlich der schönste Beruf der Welt. Denkt an Faust II. Faust hat sein Leben lang nach mehr gesucht, er hat jeden Beruf ausprobiert und hat die wirkliche Erfüllung mit dreckigen Händen draußen am Acker gefunden. Das sagt schon alles.“

Foto (c) Isabella Simon