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© Christopher Glanzl
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Abtreibung als Politikum: Pro-Choice-Bewegungen weltweit

„Eine Welt ohne Abtreibung ist möglich. Und nicht nur möglich, sondern auch gerechter und schöner“, steht auf der Website der Organisation ProLife Europe. Das vermeintliche Ziel der Organisation: Der Schutz des menschlichen Lebens. Im September 2021 wurde die 30-jährige Izabela im Süden Polens in ein Krankenhaus eingeliefert. Dort verstarb sie in der 22. Schwangerschaftswoche an einem septischen Schock: Mit Gerechtigkeit hat das wohl wenig zu tun.

Izabela sei laut Aktivist:innen die erste Frau, die infolge des neuen polnischen Abtreibungsgesetzes gestorben ist. Die Ärzt:innen führten keine Abtreibung durch, obwohl dem Fötus Fruchtwasser fehlte und sich vorab in Untersuchungen zeigte, dass zahlreiche Defekte vorliegen. Die polnische Gesetzgebung verhindert den freiwilligen Abbruch einer Schwangerschaft selbst in Fällen, in denen der Fötus schwere Anomalien aufweist. Das heißt, Abtreibungen sind nur noch in Fällen von Vergewaltigungen, Inzest oder bei Lebensgefahr für die Mutter erlaubt. Dies erhöht die Tendenz von Ärzt:innen abzuwarten, da ihnen bis zu drei Jahren Gefängnis drohen können, sollten sie nicht beweisen können, dass das Leben der Mutter in Gefahr war.

Im November 2021 wurde der Fall der jungen Frau öffentlich gemacht und löste massive Proteste in ganz Polen aus. Zehntausende Menschen protestieren gegen das nahezu vollständige Abtreibungsverbot, das Anfang des Jahres in Kraft getreten ist. Nicht nur der Fall Izabela führt vor Augen, dass restriktive Abtreibungsgesetze die Gesundheit von Schwangeren gefährdet: Etwa 45% der ungewollt schwangeren Personen müssen weltweit unsichere Abtreibungen durchführen, 4.7% bis 13.2% der Müttersterblichkeit ist auf unsichere Schwangerschaften zurückzuführen.

Restriktive Abtreibungsgesetze gefährden auch die mentale Gesundheit der betroffenen Frauen. Viele Frauen schämen sich, an Abtreibungen zu denken oder auch dafür, Abtreibungen nicht zu bereuen.

Wenn konservative und religiös motivierte Kräfte auf die Gesellschaft wirken, gibt es aber immer auch mutige, solidarische und auch wütende Menschen, die auf die Straße gehen und für die Menschenrechte einstehen. Im folgenden stellen wir euch Organisationen vor, die sich trotz aller Widrigkeiten für eine bessere Welt und das Selbstbestimmungsrecht einsetzen.

Abortion Without Borders

Wer durch Warschau geht, wird über kurz oder lang auf die Nummer 222922597 stoßen, die dort auf Transparenten oder Hausmauern geschrieben ist. Auch der Kleiderhaken, ein Symbol für Abtreibungen, die nicht professionell durchgeführt werden, machen auf die politischen Misstände in Polen aufmerksam.

Die Nummer, die nicht nur auf dem Bauzaun, sondern von einigen Häuserwänden prangt, ist oft – das muss man leider so sagen – die letzte Hoffnung, die viele Frauen mit einer ungewollten Schwangerschaft oder die aus anderen Gründen abtreiben wollen, in Polen jetzt haben.

Wer diese Nummer anruft, erreicht die Organisation Abortion Without Borders, die Frauen dabei hilft, Menschen den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen zu ermöglichen. Wenn möglich stellen sie Tabletten zur Verfügung, die zuhause eingenommen werden können.

In anderen Fällen muss eine Reise in ausländische Kliniken geplant werden, die von Abortion Without Borders finanziell unterstützt wird, no questions asked. Außerdem stehen sie auch abseits finanzieller Hilfe beratend zur Seite, in Momenten, die aufgrund des strengen Abtreibungsgesetzes, oft aussichtslos scheinen.

Voice for Choice

Eines der wenigen Länder weltweit, in denen Abtreibung in jedem Fall verboten ist, gehört zur EU: Malta. In dem hochkatholischen Land wird Frauen bei einer eigenmächtigen Abtreibung mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe gedroht.

Ein Verbot in jedem Fall meint neben einer Schwangerschaft durch Vergewaltigung auch, dass Abtreibungen auch dann nicht durchgeführt werden dürfen, wennn das Leben der Mutter in Gefahr ist oder der Fötus nicht lebensfähig ist. Weniger als 20 Staaten weltweit verfügen über eine ähnlich rigide Gesetzgebung.

Die Organisation Voice for Choice – L-Għażla Tagħha – ist ein Zusammenschluss unterschiedlicher NGOs, die sich gemeinsam für reproduktive Rechte in Malta einsetzen und sicherstellen wollen, dass schwangere Frauen – unabhängig von Geschlecht, ihrem Glauben, Alter oder ihrer ethnischen Zugehörigkeit – respektiert und geschützt werden. Voice for Choice organisiert die einmal im Jahr stattfindende Kundgebung „Rally for Choice“, die auf die Rechte von Frauen – einschließlich der Rechte auf Schwangerschaftsabbruch – aufmerksam machen will.

Sie wollen Frauen eine Stimme geben, die unter dem maltesischen Abtreibungsverbot gelitten haben und leiden. Voice for Choice arbeitet eng mit Doctors for Choice zusammen, die sich ebenfalls stark für die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruches in Malta und für die Bereitstellung von sicheren Abtreibungsdiensten in Malta einsetzen.

Colectiva Feminista

In sieben lateinamerikanischen Ländern dürfen Frauen nicht über ihren eigenen Körper entscheiden, wobei Chile im September einen Gesetzesentwurf für die Legalisierung von Abtreibungen auf den Weg bringen konnte, der noch geprüft werden muss, bevor er an den Senat weitergeleitet wird. Eines der sieben Länder ist El Salvador, das mitunter eines der strengsten Anti-Abortion-Laws weltweit hat. 2012 wurde dort eine Frau aufgrund von „Mord“ zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt. Die Frau erlitt eine Fehlgeburt.

Das Colectiva Feminista kämpft in El Salvador schon seit Jahren dafür, die Machtverhältnisse zwischen Frauen und Männern zu verändern, hegemoniale Strukturen auszuhebeln und kämpfen für eine Gesellschaft, in der jegliche Art der Unterdrückung und Marginalisierung keinen Platz hat. Morena Herrera ist eine bekannte Feministin, Aktivistin und Koordinatorin bei Colectiva Feminista. Sie setzt sich seit Jahren unter anderem für reproduktive Rechte von Frauen ein.

Needle n’Bitch

Auch in Indonesien kann ein Schwangerschaftsabbruch Freiheitsstrafen zur Folge haben, sofern die Frauen nicht Opfer von Vergewaltigungen sind oder ihr Leben bzw das des Kindes auf dem Spiel steht. Aber selbst dann brauchen verheiratete Frauen für eine Abtreibung die Zustimmung ihres Mannes.

Forscher:innen schätzen, dass in Indonesien in etwa zwei Millionen Schwangerschaftsabbrüche jährlich vorgenommen werden und dass illegale Abtreibungen in etwa 14 bis 16 Prozent der Müttersterblichkeit ausmachen. Genaue Zahlen oder vollständige Studien über die Situation in Indonesien fehlen.

Der Zugang zu Abtreibungen bleibt für Frauen in Indonesien schwer – denn auch wenn das Gesetz diesbezüglich in den vergangenen Jahren reformiert wurde, hat es noch keinen Weg in die Praxis gefunden. Die rechtliche Auslegung darüber, ob eine Frau vergewaltigt wurde, bleibt für die Opfer schwierig und zudem werden die Vergewaltigungen oft nicht angezeigt. Der Zugang zu Abtreibungen wird aber nicht nur durch soziale, sondern auch durch finanzielle Aspekte erschwert. Werden bei Frauen in Indonesien Abtreibungen durchgeführt, so werden diese immer noch stigmatisiert und als schlechte, fehlerhafte Frauen gesehen.

Needle n’Bitch ist eine feministische Organisation aus Yogyakarta, einer Stadt auf der indonesischen Insel Insel Java. Die 511.744-Einwohner:innen Stadt ist das Bildungszentrum Indonesiens und jene Stadt, in der 2007 die Yogyakarta-Prinzipien für Menschenrechte im Hinblick auf sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität von Menschenrechtsaktivist:innen veröffentlich wurden.

Sich selbst bezeichnen Needle n’Bitch als ein „anarchofeministisches Kollektiv, das sich mit den Themen Gender, Sexualität, körperliche Selbstermächtigung und Landraub beschäftigt.“ Das Kollektiv will unter anderem mit „Propaganda durch Taten“ auf sich aufmerksam machen und Frauen ermutigen, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen, was in Indonesien aufgrund religiöser und korrupter Systeme schwer ist.

Das Kollektiv hat eine anonyme Hotline eingerichtet, mit der sie Frauen mit ungewollten Schwangerschaften unterstützen wollen, sie informieren wollen und ihnen psychologische Unterstützung anbieten, zudem geben die Aktivist:innen kostenfreie Workshops, in denen sie Menschen dazu anregen wollen, sich mehr mit den Themen Abtreibung, Freiheit und dem eigenen Körper auseinanderzusetzen.

Stop Violències

Neben Malta und dem Vatikan ist auch Andorra eines der europäischen Länder, das ein sehr rigides Abtreibungsverbot hat und Abtreibung als Verbrechen gesehen wird. Hier dürfen Schwangerschaftsabbrüche nur bei akuter Gefahr für das Leben der Mutter durchgeführt werden.

Stop Violències ist eine Organisation, die seit 2014 aktiv ist und seit 2016 für die Entkriminalisierung und das Recht auf Abtreibung kämpft. Zudem bieten Psycholog:innen professionelle Hilfe für Opfer häuslicher und sexueller Gewalt und Selbstverteidigungskurse an.

The Satanic Temple

Schwangerschaftsabbrüche sind in den USA eigentlich seit 1973 legal, jedoch sind die Regelungen in den Bundesstaaten unterschiedlich. In Arkansas sind Abtreibungen beispielsweise nur noch erlaubt, wenn die Mutter in Gefahr ist. Ausnahmen für Schwangerschaften nach Vergewaltigungen oder Schwangerschaft durch Inzest gibt es seit 2021 nicht mehr.

Am 1. September trat in Texas die sogenannte Hearbeat-Bill in Kraft, die den Schwangerschaftsabbruch ab der sechsten Woche untersagt und somit beinahe unmöglich macht, da viele Frauen zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht wissen, dass sie schwanger sind. Wie in vielen anderen Ländern werden auch in Texas bei Inzest und Vergewaltigungen keine Ausnahmen gemacht.

Was in Texas allerdings noch dazukommt und die Lage besonders kontrovers macht: Sollten Ärzt:innen, Betreiber:innen von Kliniken oder Zivilbürger:innen bei Abtreibungen helfen, so sollen Bürger:innen dies zur Anzeige bringen.

Schon 2016 machte The Satanic Temple (TST), eine atheistische satanistische Organisation, auf sich aufmerksam und kämpfte für den Schutz und das Recht von Frauen, einen sicheren und legalen Schwangerschaftsabbruch durchführen zu können. TST wurde 2013 gegründet und setzt sich seither für die Trennung von Kirche und Staat ein.

Die Anhänger:innen glauben an keinen sprichwörtlichen Satan, sondern haben zum Ziel, wissenschaftlich basierte Debatten anzustoßen. Basis sind 7 Glaubensgrundsätze, von dem einer besagt, dass „der eigene Körper unantastbar ist und allein dem eigenen Willen unterliegt“.

Die Stärke des Satanic Temple ist, den Staat mit seinen eigenen Waffen zu schlagen – so auch im Zuge der Heartbeat-Bill in Texas: TST beruft sich auf den Religious Freedom Restoration Act (RFRA), um eine Befreiung von Abtreibungsbeschränkungen aus religiösen Gründen zu fordern. Der RFRA trat 1993 in Kraft und soll die Möglichkeiten der Regierung einschränken, religiöse Praktiken zu beeinträchtigen.

TST verknüpft nun die Frage der Religionsfreiheit mit reproduktiven Rechten: Sie haben ein religiöses Abtreibungsritual entwickelt, das unter Berufung auf die religiöse Freiheit durchgeführt werden soll. Der Freedom Restoration Act bietet also einen Mechanismus, um eine Befreiung des Herzschlaggesetzes zu beantragen. TST sei, so schreiben sie auf ihrer Website, bereit, jedes Mitglied zu unterstützen, das seine tief empfundenen religiösen Überzeugungen bezüglich des Rechts auf reproduktive Freiheit teilt. Sie ermutigen Menschen, die sich innerhalb der ersten 24 Schwangerschaftswochen befinden und sich einem satanistischen Abtreibungsritual unterziehen wollen, TST zu kontaktieren.

SOGON und #EndWarOnNigerianWomen

Auch wenn einige afrikanische Länder eine liberalere Gesetzgebung haben, verbieten einige Abtreibung zur Gänze und verhängen hohe Strafen. Die nigerianischen Abtreibungsgesetze beispielsweise haben ihren Ursprung in der kolonialen Rechtssprechung. Demnach dürfen ungewollte Schwangerschaften nur dann abgebrochen werden, wenn das Leben der Frau akut bedroht ist. Darüber hinaus sind Abtreibungen illegal und werden mit einer hohen Freiheitsstrafe geahndet.

Die Folge: Fast nirgendwo auf der Welt sterben so viele Frauen im Zuge unsicherer Schwangerschaftsabbrüche. Die amerikanische NGO Guttmacher Institute schätzt, dass in Nigeria jährlich bis zu 2.8 Millionen illegale Abtreibungen stattfinden und um die 6.000 Frauen sterben.

Die Society of Gynaecology and Obstetrics of Nigeria (SOGON) ist der berufliche Dachverband der Gynäkolog:innen in Nigeria. Sein Ziel ist es, nigerianischen Frauen den höchstmöglichen Standard an „körperlicher, geistiger, reproduktiver und sexueller Gesundheit“ zu ermöglichen. Sie wollen helfen, medizinisches Facherpersonal zu schulen, um Todesfälle und Gesundheitsgefährdung durch Abtreibungen zu reduzieren. Neben dem Verband wurde 2019 auch der Hashtag #EndWarOnNigerianWomen ins Leben gerufen.

Trauriger Anlass war eine Razzia in der Marie-Stopes-Klinik, die kostenlose oder zumindest günstige medizinische Unterstützung für Frauen angeboten werden. Nigerianische Feminist:innen und LGBTQI+-Aktivist:innen schlossen sich zusammen, um das öffentliche Bewusstsein für den diskriminieren und gesundheits- und lebensgefährdenden Umgang mit Frauen zu schärfen.

Warum der Kampf weitergehen muss

Ohne Organisationen wie die oben genannten, würde sich in den betroffenen Ländern nichts ändern. Sie zeigen einmal mehr auf, wie wichtig die Arbeit von Aktivist:innen ist und wie wichtig es ist, dass diese Menschen jenen eine Stimme geben, die – zurecht – Angst vor den politischen Systemen haben.

Denn auch wenn vor Abtreibungskliniken in Österreich vereinzelt Missionare stehen, die einem den Eintritt in Abtreibungskliniken ohne Frage schwer machen und ins Gewissen reden wollen, ist die Situation international unvergleichbar gefährlicher. Das Recht auf den eigenen Körper darf keine Frage zwischen Leben oder Tod und zwischen Freiheit oder Gefängnis sein.