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Chasing the Heat

In der Glosse „Nachhaltig aussterben“ schreibt Herausgeberin Therese Kaiser über das unmöglich richtige Leben in einer von Krisen gebeutelten Welt. Dieses Mal: Was macht die Hitze mit unserem Traum vom Mittelmeer?

Letzten Sommer habe ich eine Ausgabe GEO Epoche zum Thema Mittelmeerraum verschlungen. Es ging um Hochkulturen, um Krieg und Frieden, um Handel. Heute steht das Mittelmeer weniger für Hoch-, als für eine Urlaubskultur der breiten Mittelschicht, die sich von Jesolo bis Palma, von Djerba bis Marseille, von Antalya bis Tel Aviv erstreckt.

Diesen Sommer habe ich, wie eigentlich jeden Sommer meines Lebens, am Mittelmeer verbracht. Vor 30 Jahren war das Kreta, Mykonos oder Korfu, dann war es Lignano, Hvar oder Belek, und dann Ibiza, Triest oder Palermo. Der mediterrane Sommer ist ohne Frage der Höhepunkt meines Jahres. Er existiert ganzjährig in meinem Kopf, und dann normalerweise ein, zwei Wochen im Juli oder August in echt. Als ich diesen Sommer irgendwo zwischen Livorno und Florenz bei 40 °C und einer nicht verschiebbaren Deadline Siesta vom Horror des Spätkapitalismus – Workation – nehme, wird mir das erste Mal so wirklich bewusst, dass es den Sommer am Mittelmeer nicht mehr geben wird.

Also natürlich wird es einen Sommer am Mittelmeer geben, aber er hat sich verändert. Es brennt sehr viel, die griechischen Inseln werden evakuiert, der Flughafen auf Sizilien ist von Feuer eingeschlossen, in Algerien sterben Menschen, auf der Flucht ertrinken Menschen. Die Bilder aus den Medien führen einen Krieg gegen die Bilder in meinem Kopf, von schönen Stränden und salziger Haut und Calamari Fritti. Den Sommer am Mittelmeer gibt es also nicht mehr, die breite Mittelschicht auch nicht. Irgendwo hinfahren, wo das eigene Einkommen mehr wert ist als daheim, oder zumindest gleich viel, wo das Essen lecker ist und das Strandwetter stabil. Die Fantasie vom Mittelmeer hat sich tief in volkswirtschaftliche Rechnungen gebohrt, Prekariat und Umweltverschmutzung an den Hotspots befeuert.

Auf Mallorca finde ich mich heuer zwischen wirklich sehr sehr vielen Tourist:innen in einer Bucht ein, wo ich zu Mittag von allen drei Strandrestaurants abgewiesen werde, weil ich alleine bin und nur einen Kaffee trinken möchte. Es ist eine Frechheit, denke ich mir, aber mit dem Blick auf mich und mein deutschsprachiges Umfeld ist wahrscheinlich die Frechheit in die andere Richtung so viel größer, dass ich mich nicht verleiten lasse zu einem peinlichen Wortgefecht mit zwei Kellnerinnen, die genau aus den richtigen Gründen keinen Respekt vor mir haben.

Bei 40 °C in der Bucht auf Mallorca lese ich Nachrichten über noch mehr Brände, über den stärksten Flugsommer quasi aller Zeiten, über viel zu hohe Meerestemperaturen und Hagelkörner so groß wie Fußbälle. Bei einer Wassertemperatur um die 29 °C kühle ich mich ab, fahre mit dem Rad zurück durch die Hitze, trinke einen Kaffee in der kleinen Stadt. Ein Vater wäscht an der Tankstelle in der 15-Uhr-Hitze seinen Mietwagen, ich denke, er hat einenNervenzusammenbruch. Absurd ist vor allem, dass Klimakrise und Mittelmeer-Fantasie inklusive Massentourismus zeitgleich existieren können. Die Urlaubsorte bemühen sich aus wirtschaftlichen Gründen um das Erhalten der Fantasie, an die sich die Urlaubsfamilien – und ich – aus ökonomisch-nostalgischer Notwendigkeit klammern. Mit der Sommerfrische in Mittel- oder Nordeuropa wird es nämlich nichts, das ist zu teuer.

Aber ich habe dem Sommerurlaub in Kroatien, Spanien oder Italien an einem dieser Tage mit 40 °C endgültig abgeschworen. Spätestens im Februar werde ich alles vergessen haben und wieder irgendwo ein Häuschen suchen, das authentisch wirkt und leistbar ist und möglichst weit weg von den anderen Tourist:innen, die sich schwertun zu akzeptieren, dass der Sommer am Mittelmeer sich verändert hat und deutlich die Katastrophe offenbart, die sich immer schneller entfaltet. Wer kann sich im Februar mit Wind, Schnee und Regen überhaupt 40 °C vorstellen?