Ob Ausbau von erneuerbaren Energien oder Konzepte gegen Hitze und Überflutungen - auf kommunaler Ebene passiert viel zur Bewältigung der Klimakrise und ihrer Auswirkungen. Doch welche Wirkung können solche Vorzeigeprojekte und -kommunen auch auf größerer Ebene entfalten?
„Eigentlich ist es ein ganz einfaches Prinzip“ sagt Joachim Payr, in Richtung seines Herzensprojekts zeigend. In einem Streifen wachsen hier Sonnenblumen. In dem nächsten Mohn, gefolgt von Winterweizen und Kartoffeln. Neun Meter breite Ackerflächen stehen jeder Pflanzenart zur Verfügung. An den beiden Enden befinden sich jeweils ein Meter breite Blühstreifen. Und quasi an deren Enden stehen Photovoltaikanlagen. Dabei handelt es sich um bifaziale Solarmodule, die auf beiden Seiten in der Lage sind, Energie zu gewinnen und rotierend konzipiert sind, sodass sie sich immer nach der maximalen Sonneneinstrahlung richten. 5.500 solcher Module gibt es auf der 5,5 Hektar großen Fläche. Insgesamt sind es zwei Prozent des Grundstücks in Bruck an der Leitha, einer kleinen Gemeinde im Bundesland Niederösterreich, welche die Energiegewinnung einnimmt.
Eine Forschungsgruppe der Universität für Bodenkultur Wien hat ebenfalls ihren eigenen Bereich, um zu evaluieren, welche Auswirkung die Schatten, die durch die Anlagen entstehen, auf die Pflanzen haben könnten. „Theoretisch könnte es sogar eine kleine Klimawandelanpassungsmaßnahme sein. Man könnte Pflanzen, denen es sonst zu heiß oder sonnig ist, gezielt in die Schattenflächen pflanzen. Oft sind minimale Temperaturunterschiede schon entscheidend“, so Alexander Bauer vom Forschungsteam.
Energie und Landwirtschaft gemeinsam denken
„Strom, Landwirtschaft und Biodiversität. Alles in einem“, so beschreibt Joachim Payr das Pilotprojekt. Er hat das Konzept der sogenannten Agri-PV Anlage „EWS Sonnenfeld“ mitentwickelt. 2019 startete die EWS Consulting GmbH in Kooperation mit dem Energiepark Bruck an der Leitha die Konzeption. Als besonders innovatives „Muster- und Leuchtturmprojekt“ für Photovoltaik bekam die Referenzanlage den Zuschlag des Klima- und Energiefonds. Im Herbst 2022 wurde das EWS Sonnenfeld in Betrieb genommen. Vom Klimabündnis Europa wurde es mit dem Climate Star Award 2023 ausgezeichnet.
Für Joachim Payr ist das Pilotprojekt vor allem der Beweis dafür, dass Energiegewinnung und Landwirtschaft gemeinsam funktionieren können und nicht in Konkurrenz zueinander stehen müssen. Seine Vision: Eine zehn Hektar große Agri-PV Anlage in jeder zweiten Gemeinde Österreichs. „Eine solche Anlage würde Strom für 3.000 Haushalte produzieren, während man noch acht Hektar für Lebensmittel nutzen kann. Bis zu 17 Prozent des Strombedarfs Österreichs könnte man so abdecken“, erklärt er. Indem man Bürger:innen und lokale Stakeholder wie Landwirt:innen miteinbezieht, könne auch die soziale Akzeptanz von solchen Projekten gesteigert werden, argumentiert Payr.
Um die Klimaziele erreichen zu können, führe kein Weg an solchen Lösungen vorbei, findet er zudem. „Nun liegt die Verantwortung vor allem bei den Ländern und Gemeinden. Sie haben, wenn es zum Beispiel um Flächenwidmungen geht, viel zu entscheiden. Die österreichische Bundesregierung hat jedenfalls ihre Aufgaben gemacht, etwa mit dem Energieeffizienzgesetz oder dem Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz“, sagt Payr.
Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG)
Bis 2030 soll Österreichs Strom vollständig aus erneuerbaren Energiequellen gewonnen werden, bis 2040 wird die gesamte Wirtschaft klimaneutral sein. Das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz, welches im Juli 2021 in Kraft getreten ist und im Jahr 2022 novelliert wurde, setzt die dafür notwendigen Rahmenbedingungen. Es regelt vor allem die finanzielle Förderung nachhaltiger Stromerzeugung sowie die Koordination zwischen Stromerzeugung und Stromverbrauch oder auch die Zertifikate für „grüne“ Energie.
Eine neue Normalität aufzeigen
„Dass Städte, aber auch kleinere Kommunen etwas tun und am Puls der Zeit sind, ist sehr wichtig“, findet auch Doris Knoblauch, Senior Fellow und Koordinatorin der Aktivitäten im Bereich kommunale und räumliche Governance am Ecologic Institut in Berlin. „Auch wenn sie oft nur begrenzten Spielraum haben, spielen sie eine große Rolle, wenn es darum geht, Sachen ausprobieren sowie eine andere Normalität aufzeigen zu können.“
Bei der 21. Weltklimakonferenz 2015 unterzeichnete die Mehrheit der Staaten das Übereinkommen von Paris. Das darin formulierte Ziel: den menschengemachten globalen Temperaturanstieg zumindest auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Dass dafür vor allem die Emissionen reduziert und so schnell wie möglich CO₂-Neutralität erreicht werden muss, darüber war man sich einig. In seinem „FIT for 55“-Plan strebt die Europäische Union genau das auch an. Bis 2030 sollen mindestens 55 Prozent der Treibhausgase im Vergleich zu 1990 eingespart werden. Die Themen Energie sowie der Ausstieg aus fossilen Brennstoffen spielen dabei eine entscheidende Rolle.
Energieeffizienzgesetz
Am 1. Juni 2023 wurde im österreichischen Parlament das „Bundesgesetz über die Verbesserung der Energieeffizienz bei Haushalten, Unternehmen und dem Bund sowie Energieverbrauchserfassung und Monitoring" (Bundes-Energieeffizienzgesetz - EEffG) verabschiedet. Mit dem EEffG hat sich Österreich verpflichtet, die Energieeffizienz so zu verbessern, dass der absolute Endenergieverbrauch bis 2030 im Vergleich zum Jahr 2021 reduziert wird und der Zielwert von 920 Petajoule nicht überschritten wird. Ziel ist es, eine Energieeinsparung von 20 Prozent zu erreichen.
„Oft braucht es wen, der andere mitzieht“
Gut sei es, gerade auf kommunaler Ebene, wenn es jemanden gibt, der sich kümmert, antwortet Expertin Knoblauch auf die Frage, wie Vorzeigeprojekte gelingen können. „Es ist am Ende natürlich eine Arbeit von vielen. Aber oft braucht es wen, der andere mitzieht.“
Einer, der andere “mitgezogen” hat, ist wohl Hubert Wimmer. Der Niederösterreicher war federführend in der Errichtung einer Energiegemeinschaft in seiner niederösterreichischen Heimatgemeinde Maissau.
„Ich bin durch meine Tätigkeit im Bereich Energietechnik an der EVA Campus Wien über einen Artikel zu Energiegenossenschaften gestoßen und habe begonnen, mich damit auseinanderzusetzen“, so Wimmer. Vor zwei Jahren konkretisierte sich die Idee, selbst eine umzusetzen, parallel zum Beginn seiner Tätigkeit als Gemeinderat. Dass sich mit der Zeit auch die Situation am Energiemarkt zugespitzt hat, half dabei. „Zwar schwingt der Klima-Gedanke bei vielen mit, entscheidend war bei uns schon eher aber der Preis“, so Wimmer.
Von der Gemeinschaft für die Gemeinschaft
Im März 2023 ging die Energiegemeinschaft in Betrieb. 50 Haushalte mit 70 Zählpunkten produzieren mittels Photovoltaikanlagen ihren Strom. Verrechnet wird nach einem dynamischen System. Das heißt: Bezahlt wird nach Verbrauch. Organisiert ist alles als ein Verein. Bisher sei man sehr zufrieden.
Der Weg bis dahin sei aber lang gewesen, sagt Wimmer. „Als wir begonnen haben, gab es noch kein Energieeffizienzgesetz, und somit keinen rechtlichen Rahmen für solche Projekte in Österreich“, so der Energietechniker. Mittlerweile existiert neben einer juristischen Leitlinie auch eine Koordinationsstelle für Energiegemeinschaften, die sehr hilfreich sei. Dennoch: „Ich glaube, es müsste mehr Dynamik und Flexibilität vom Gesetzgeber kommen. Dann wäre es einfacher, Energiegenossenschaften zu gründen. So hätten auch Privatinitiativen Partizipationsmöglichkeiten am Energiemarkt“, sagt Wimmer.
Deutsche Gemeinden wie Feldheim in Brandenburg oder St. Peter im Kreis Breisgau-Hochschwarzwald ist es bereits gelungen, komplett energieautark zu werden - mit einem Mix aus Photovoltaikanlagen, Windkraftwerken und Biomasseanlagen sowie einem eigenen Stromnetz.
Vom Vorzeigeprojekt zur gängigen Praxis
Oft gelten Projekte wie das EWS Sonnenfeld oder Energiegemeinschaften, wie jene in Maissau, als Vorzeigeprojekte, als Wegweiser dafür, wie es in der Breite auch aussehen könnte. Aber die Schlussfolgerung, dass sich damit auch direkt neue Handlungsmöglichkeiten ergeben, sieht Expertin Doris Knoblauch differenziert. „Nur weil etwas Gutes draußen in der Welt ist, heißt das nicht, dass es nachgeahmt wird. Aber andersherum kann man natürlich sagen: Es kann auch nur nachgeahmt werden, was schon existiert“.
Ein Beispiel, wie so eine „Nachahmung“ funktionieren kann, bieten die sogenannten Schwammstädte. Das ist ein Konzept der Stadtplanung, bei dem anfallendes Regenwasser aufgenommen und gespeichert wird, anstatt es lediglich abzuleiten. Das Ziel dabei ist es, Regenwasser als Ressource zu nutzen und Überflutungen vorzubeugen. Als Vorreiter dieses Prinzips gilt die dänische Hauptstadt Kopenhagen, in der das Prinzip seit ungefähr 2012 angewendet wird. Mehr als ein Jahrzehnt später gelten Schwammstädte als Zukunft der Stadtplanung. In Deutschland wird das Konzept großflächig, etwa in Berlin und Hamburg, angewandt.
Schwammstädte: Ein Zukunftskonzept?
So kommt der Berliner Adlershof fast gänzlich ohne Abflüsse aus. Begrünte, wannenförmige Mulden dienen zwischen Straßen und Gehwegen der Versickerung des Wassers. Auch die Dächer der Gebäude sind begrünt. Die Grünflächen liegen dabei tiefer als die Straßen, sodass der Regen hineinfließen kann. In Hamburg findet sich das Schwammstadt-Prinzip großflächig in der Gründachstrategie wieder.
Auch in Österreich findet das Schwammstadt-Prinzip Anwendung, wie etwa in der Seestadt Aspern. Im Kärntner Villach kommt das Schwammstadt-Prinzip derzeit ebenfalls zum Einsatz. Im Rahmen der „Grünen Achse“ werden schrittweise Bäume nach dem Konzept gepflanzt. Durch Drainagen im Wurzelbereich können bis zu zehnmal so viel Wasser aufgenommen werden wie bei normalen Stadtboden. Die ersten Bäume wurden im März dieses Jahres angebracht. „Historisch bedingt gab es auf dem Hauptplatz im Grunde noch nie Bäume. Von daher ist das ein großer Schritt, nicht nur um ein wenig der Hitze entgegenzuwirken, sondern auch um Regenwasser zu speichern und womöglich Fluten zu verhindern“, sagt Vizebürgermeisterin und Nachhaltigkeitsreferentin Sarah Katholnig.
Klima als Querschnittsthema
Trotz all der Bemühungen, die es auf kommunaler Ebene gibt, sieht Expertin Knoblauch vor allem auf gesetzlicher Ebene noch Bedarf, wenn es darum geht, Klimaschutz auch in Gemeinden zu verankern. Ein Verbot könne auch ein solcher Hebel sein. „Ich finde zum Beispiel das Verbot von Schottergärten im deutschen Chemnitz sehr gut. Auch wenn positive Anreize wie Förderungen oder steuerliche Begünstigungen natürlich ebenfalls sinnvoll sind“, so Knoblauch. Vor allem aber betont sie: „Die Verantwortung sollte nicht bei einzelnen Personen und ihrem Engagement liegen. Die Frage sollte auch nicht sein, ob man sich überhaupt für Klimaschutz einsetzt, sondern vielmehr wie. Und das sollten dann alle Abteilungen, parteiunabhängig mitdenken und als Querschnittsthema anpacken.“
von Naz Küçüktekin