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Zukunft der Psychedelika: Medizin statt Drogen

MDMA, LSD oder Psilycibin in Magic Mushrooms gehören zu den illegalen psychotropen Stoffen. Jahrzehntelang war die Forschung dazu erschwert, ihr medizinischer Nutzen nicht anerkannt. Bald könnte sich das ändern.

Lisa* nimmt eigentlich keine Drogen, schickt sie vorweg. Dennoch ist sie heute hier im neunten Wiener Gemeindebezirk und sitzt im Kreis mit sieben anderen Menschen, die es tun. Lisa ist hier, um ihnen zuzuhören und um einen Weg zu finden, wie es ihr psychisch besser gehen kann. Die Antidepressiva, die sie vergangenes Jahr eingenommen hatte, und auch die Psychotherapie halfen nicht. Die anderen im Kreis sind hier, um von ihren Erfahrungen mit LSD, MDMA oder Magic Mushrooms zu erzählen. Einige dieser Erfahrungen haben sie im Leben weitergebracht, sie hatten dadurch Erkenntnisse, Gefühle und Momente voller Freude und Glück, haben Fortschritte in ihrer Psychotherapie gemacht, erzählen sie. Dinge, die Lisa auch erreichen will, aber auf ihre Frage, wie sie nun auch zu so einer Erfahrung kommen könnte, antworten die anderen mit Schweigen. Das Gesetz zieht nämlich eine klare Linie zwischen Lisas Antidepressiva, die ihr nicht geholfen haben und den Substanzen, von denen die anderen im Raum sprechen. MDMA, LSD oder Psilycibin in Magic Mushrooms gehören zu den illegalen psychotropen Stoffen. Jahrzehntelang war die Forschung dazu erschwert, ihr medizinischer Nutzen nicht anerkannt. Bald könnte sich das ändern. 

44 Millionen Dollar haben die privaten Investoren in den letzten zwei Jahren allein die US-amerikanische Organisation MAPS (Multidisciplinary Association for Psychedelic Research) gepumpt

1971 hat sich die Welt mit der UN-Konvention zu psychotropen Stoffen darauf geeinigt: LSD & Co haben keinen medizinischen Nutzen, sind Stoffe, die „Gesundheit und Wohl der Menschen ernstlich gefährden und die wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Grundlagen der Gesellschaft beeinträchtigen“. In den letzten Jahren haben aber die renommiertesten Universitäten der Welt mit zahlreichen Studien, finanziert von privaten Investoren, ihren medizinischen Nutzen für die Behandlung psychischer Krankheiten erforscht. Auch aus Not heraus: Die Mental Health Crisis strapaziert unsere Gesundheitssysteme: Rund fünf Prozent der Erwachsenen leiden weltweit an Depressionen, Suizid ist laut WHO der vierthäufigste Sterbegrund bei 15 bis 29-Jährigen. Braucht es neue Behandlungsformen? Psychedelische Substanzen sollen nun in Verbindung mit Therapien bei Depressionen, Posttraumatischen Belastungsstörungen, Angststörungen, Anorexie oder Alkoholsucht– also Krankheiten, von denen Millionen Menschen weltweit betroffen sind – helfen. 

Nachdem die medizinische Forschung an Psychedelika 1970 so gut wie gestoppt worden war, lebt sie in den letzten Jahren wieder auf. 44 Millionen Dollar haben die privaten Investoren in den letzten zwei Jahren allein die US-amerikanische Organisation MAPS (Multidisciplinary Association for Psychedelic Research) gepumpt, schreibt die New York Times, die im Frühjahr 2021 mit „The Psychedelic Revolution Is Coming. Psychiatry May Never Be the Same” titelte. Ein Report von Research and Market schätzt, dass der Markt für psychedelische Medizin bis 2027 10,57 Milliarden Dollar wert ist. Was steckt hinter den großen Erwartungen? 

Integration

Lisa sitzt das erste Mal unter Menschen, die sich über psychedelische Erlebnisse austauschen. Im Internet hat sie von LSD-Zeremonien gehört, wollte mehr davon wissen und ist auf die Integration Circles, die Marlene Rupp 2017 ins Leben gerufen hat, gestoßen. Rupp ist in Ausbildung zur Psychotherapeutin und beschäftigt sich seit Jahren mit der Wirkung von psychedelischen Stoffen auf Menschen, schreibt darüber auf ihrem Blog und hat die Psychedelic Society und psycare Austria, das sich um Menschen mit schlechten Trips während Partys kümmert, mitgegründet. Sie macht die Integration Circles, damit Menschen ihre psychedelischen Erfahrungen mitteilen können. „Viele Menschen stehen mit einprägsamen Erlebnissen während eines Trips alleine da“, weiß Rupp. Dabei liege das therapeutische Potenzial von LSD, MDMA oder Psilocybin in den Magic Mushrooms darin, die Erfahrungen mit dem eigenen alltäglichen Leben zu verbinden. Angetrieben dazu hat sie ein eigenes psychedelisches Erlebnis, nachdem sie in ein tiefes Loch gefallen ist. Während ihrer Zeit in der IT-Branche hat sie ihre Eindrücke beiseite gelegt und erst 15 Jahre später begonnen, zu recherchieren, was damals eigentlich in ihrem Körper passiert ist.

Ein wichtiges Merkmal der psychedelischen Erfahrung: Die meisten erleben sie bewusst. Anders als bei Drogen, wie Alkohol, wo der starke Rausch oft Erinnerungslücken mit sich bringt. 

Psychedelische Substanzen gehören zu den Halluzinogenen, die Denken und Wahrnehmung beeinflussen. Sie aktivieren verschiedene Serotonin-Rezeptoren im Hirn, vor allem Rezeptor-Typ 2A, der mit vielen Gehirnregionen verbunden ist. Sie bewirken daher, dass Hirnregionen miteinander kommunizieren, die normalerweise wenig miteinander zu tun haben. Die bekannteste Substanz ist wohl Lysergsäurediethylamid (LSD), im Englischen auch kurz acid genannt, dessen Wirkung der Schweizer Albert Hoffmann durch Zufall in einem Experiment selbst zu spüren bekam. Es ist der 19. April 1943, als er am Nachhauseweg mit dem Rad eine verzerrte Umgebung wahrnimmt, beschreibt der Chemiker in seinem Buch „LSD – Mein Sorgenkind“. All seine Wahrnehmungen konnte er sich bei diesem ersten Trip und all seinen folgenden merken und sie im Nachhinein aufschreiben. Ein wichtiges Merkmal der psychedelischen Erfahrung: Die meisten erleben sie bewusst. Anders als bei Drogen, wie Alkohol, wo der starke Rausch oft Erinnerungslücken mit sich bringt. 

Nixons War On Drugs stoppt die Forschung

Diese Fähigkeit, sich erinnern zu können, und die weite Bandbreite an Emotionen, die er spüren konnte, brachte Hoffmann unter anderem dazu, weiter zu forschen und zu dem Schluss zu kommen, dass LSD in der Psychotherapie eingesetzt werden könnte. Nach der Entdeckung Hoffmanns gab es einige Jahre lang Versuche an Kliniken, und vor allem probierten viele Psychiater:innen LSD an sich selbst aus, schreibt der Journalist Michael Pollan in seinem Buch und „How to change your mind. The New Science of Psychedelics“, das von Geschichte und Gegenwart psychedelischer Forschung erzählt. Einige Versuche in den USA zeigten schon in den 60ern, dass therapeutische Behandlung mit LSD der Weg aus langjähriger Alkoholsucht sein kann, schreibt Pollan, der für The New York Times, The Atlantic oder die Financial Times publiziert. Bis Ende der 1960er bauten Therapeut:innen in den USA, vor allem in Los Angeles, den Beverly Hills, LSD in ihre Praxis ein und dokumentierten schnellere Erfolge bei ihren Klient:innen. Der Gründer der Anonymen Alkoholiker, Bill Wilson, setzte sich zum Beispiel dafür ein, LSD als medizinisches Mittel zur Suchtbekämpfung anzuerkennen. 

Präsident Nixon versuchte durch dieses Gesetz vor allem die Antikriegs- und Bürgerrechtsbewegungen über die Drogen, die sie verwendet haben, zu verfolgen und zu marginalisieren.

So viel Potenzial die Psychiater:innen und Therapeut:innen von damals in LSD auch sahen, die Wissensproduktion endete Mitte der 70er. Die US-Regierung unter Richard Nixon beschloss 1970 den Controlled Substances Act und die Vereinten Nationen folgten mit der Konvention über psychotrope Substanzen 1971, wodurch psychoaktiven Substanzen wie LSD oder Psilocybin ein hohes Suchtpotential und fehlender medizinischer Nutzen zugesprochen wurde. Verantwortlich für die Illegalisierung waren hauptsächlich politische Gründe. In den 1960ern wurde LSD zur Hippie-Droge. Schwarze und die Menschen, die in den USA gegen den Vietnam Krieg auf die Straße gingen, waren die Gesichter von LSD in der Öffentlichkeit. „Präsident Nixon versuchte durch dieses Gesetz vor allem die Antikriegs- und Bürgerrechtsbewegungen über die Drogen, die sie verwendet haben, zu verfolgen und zu marginalisieren“, sagt Claudia Schwarz-Plaschg. Die Sozialwissenschaftlerin hat von 2018 bis 2021 eine EU-geförderte Studie zu den sozialen und politischen Dimensionen der psychedelischen Forschung an der Universität Wien und an den amerikanischen Universitäten Harvard und MIT durchgeführt. Kurz nach dem Controlled Substances Act, verkündete Richard Nixon auch „The War On Drugs“ in einer Pressekonferenz: Besonders LSD erklärte er zum offiziellen Feind der Gesellschaft. Seit 1971 stecken die Substanzen in der am strengsten kontrollierten Kategorie fest, somit war Forschung im Gebiet erschwert bis unmöglich. Nun erwarten viele, dass MDMA 2023 und wenig später auch Psilocybin als medizinische Mittel und damit für Therapien zugelassen werden könnten.

Die Schweiz macht Ausnahmen

Peter Gasser ist einer von ihnen und Psychotherapeut in Basel. Als erster Arzt hat er 2014 eine Behandlung mit LSD beantragt – und eine Ausnahmebewilligung erhalten. Seitdem hat er 35 solcher aufwendigen Bewilligungsschreiben verfasst, 10 Patient:innen behandelt er mit einer psycholytischen Therapie: Dabei bekommen Klient:innen LSD oder MDMA in vereinzelten Sitzungen entweder in Gruppen oder in einer Einzelsitzung verabreicht. Der Einfluss der Substanz, also der Trip, dauert meist acht bis zehn Stunden an. Peter Gasser bleibt anwesend, während der Sitzung entstehen Gespräche, Musik wird gespielt: „Die meisten liegen entspannt da. Das Setting sollte so angenehm wie möglich gestaltet sein“, erzählt Peter Gasser. Ab drei bis vier Tage danach gibt es Therapie-Gespräche in denen das Erlebte besprochen wird. „Ziel ist es, die Erfahrungen ins reale Leben zu integrieren.“ Unter seinen Patient:innen finden sich einige mit Krebsdiagnosen, die ihnen sagen, dass nicht mehr viel Zeit zum Leben bleibt. „Oft kommen Patient:innen mit LSD schneller aber auch tiefgehender zu Erkenntnissen, das ist vor allem wenn wenig Lebenszeit übrig ist, ein wichtiger Grund für die Behandlung.“ Während die Erwartungen hoch sind, manche sich durch die Zulassung der Substanzen eine bessere Gesellschaft erwarten, weil viele auch von einem Gefühl der starken Verbundenheit mit anderen Menschen und auch der Natur erzählen, hält Peter Gasser fest: „Sicher sind die Substanzen keine Wundermittel und auch nicht für jeden geeignet.“ Bei Menschen mit Schizophrenie oder Psychosen wird die Behandlung zum Beispiel nicht empfohlen und auch bei Studienteilnahmen schließt man Patient:innen mit solchen Krankheiten eher aus. Hauptsächlich sieht man Potenzial für die Behandlung von Posttraumatischer Belastungsstörungen (PTBS), Depression oder Angststörungen. 

Die andere Perspektive

„Menschen mit Depressionen oder Angststörungen denken mehr als andere in den immer selben Bahnen, in Denkmustern, aus denen sie nicht mehr rauskommen”, erklärt Marlene Rupp. Robin L. Carhart-Harris, einer der großen Namen in der Psychedelischen Forschung, beschreibt das ausführlich in seinem Paper „The entropic brain: a theory of conscious states informed by neuroimaging research with psychedelic drugs“. Unter Einfluss psychedelischer Substanzen komme man aus diesen Denkmustern heraus, die Wahrnehmung von sich selbst und seiner Umgebung ist eine, die man im nüchternen Zustand schwer erreicht. Peter Gasser spricht von einer „Tür zur eigenen Emotionalität und zur Verletzlichkeit, die sich öffnet“. In den Integration Circles bei Marlene Rupp erzählen viele „von endloser Empathie sich selbst und anderen gegenüber“. Diese hochgradige Empathie könne zum Beispiel zu noch nie empfundener (Selbst)liebe werden. „Das Therapeutische daran ist aber nicht nur der Trip selbst, sondern noch viel mehr ist es der Prozess, wie man dieses Erlebnis in den Alltag integriert“, erklärt Rupp und zeichnet ein Bild: Wenn man sich diesen erfüllten Zustand als Bergspitze vorstellt, können sich Menschen nach dem Erleben viel leichter vorstellen, dass sie dort hinkommen können. Den Weg auf dem Berg macht man aber nicht im Trip selbst, sondern in der Therapie, mit Gesprächen darüber, im Alltag. Kurz gesagt: Wenn ich die ultimative Selbstliebe im Trip spüre, ist es leichter für mich, sie auch in Echt zu fühlen. Weil ich weiß, dass ich es kann. 

Psychedelika sind kein Wundermittel, das die psychische Gesundheit unserer Gesellschaft in Ordnung bringt. Aber sie könnten ein Mittel sein, mit dem es womöglich wesentlich schneller geht, Ziele in der Therapie zu erreichen.

„Wenn Antidepressiva wie ein Pflaster für Wunden sind, dann kann man sich Psychedelika als etwas vorstellen, das die Wunde aufreißt und ganz genau reinschaut“, erklärt Rupp. Nicht jeder Trip ist geprägt von rein positiven Gefühlen. Eine Teilnehmerin des Integration Circles erzählt von einem Trip, in dem sie erkannt hat, dass sie sehr um ihre Sicherheit fürchtet und dass es diesen einen Ort, wo sie absolut sicher ist, nicht gibt. Diesen Schmerz hat sie zwei Jahre lang in der Therapie bearbeitet. An diesem Sonntag Nachmittag in Wien erzählt sie: „Wegen diesem Erlebnis wusste ich, dass ich den Schmerz aushalten kann.“ Während sie das erzählt, nickt Marlene Rupp zustimmend: „Um das geht es: Psychedelika sind kein Wundermittel, das die psychische Gesundheit unserer Gesellschaft in Ordnung bringt. Aber sie könnten ein Mittel sein, mit dem es womöglich wesentlich schneller geht, Ziele in der Therapie zu erreichen.” 

MDMA bald als Medikament

Das anerkannte wissenschaftliche Journal nature veröffentlichte im Mai 2021 die lang angekündigte Studie in der dritten Phase des MAPS über den Einsatz von MDMA um PTBS  zu behandeln – eine verbreitete psychische Belastung unter US-amerikanischen Veteranen. Rund die Hälfte der ehemals kämpfenden Soldaten aus dem Irak- und Afghanistankrieg gaben an, darunter zu leiden, 40 Prozent geben Alkoholprobleme an, so die American Public Health Assosiation

PTBS bringe andere weit verbreitete psychische Probleme der Gesellschaft, wie Alkoholsucht, Depressionen, Suizide, mit sich. Menschen nehmen oft über mehrere Jahre hinweg Antidepressiva und besuchen Therapeut:innen, ohne eine tatsächliche langfristige Besserung zu spüren, beschreibt die MAPS-Studie den Status Quo und den Grund, warum es andere Wege braucht. 40 bis 60 Prozent der Veteran:innen, die wegen Posttraumatischen Belastungsstörung die üblichen von der FDA empfohlenen medikamentösen und therapeutischen Behandlungen durchmachen, erleben keine Besserung, so die MDMA-Studie von MAPS. Dem gegenüber stünden die Ergebnisse der Studie selbst: Zwei Drittel der Teilnehmer:innen, die mit PTBS diagnostiziert waren und MDMA gestützte Therapie erhielten, waren zwei Monate nach der Behandlung nicht mehr qualifiziert für die Diagnose. Von denen, die eine Therapie ohne MDMA erhielten, traf dies auf 32 % zu. 

„Es geht darum, ein größeres Repertoire zu haben“, meint der Schweizer Arzt Peter Gasser und blickt aber auch kritisch auf den Trend. Inwiefern lassen sich Menschen damit lenken, manipulieren und vielleicht auch radikalisieren? Dazu gibt es wenig Erkenntnisse, weil sie im Untergrund stattfinden. Darin sieht Peter Gasser eine Gefahr und gleichzeitig einen weiteren Grund, die Substanzen endlich zu legalisieren. Für MDMA erwartet er sich das in den nächsten zwei bis drei Jahren, vor allem weil die MAPS-Studie sehr viel vorangetrieben hat. Für Psilocybin wird es noch rund acht bis zehn Jahre dauern, für LSD noch länger, schätzt er. Die Berühmtheit der Droge hemmt am Ende ihren Aufstieg aus der Illegalität.

*Name von der Redaktion geändert