Doris Uhlich ist Choreografin und Tänzerin und befasst sich in ihrer Arbeit kritisch mit Körpernormen, untersucht die Beziehung von Mensch und Maschine und stellt den nackten Körper abseits von Erotisierung auf die Bühne. Auch bestehende Formate aufzubrechen und die Perspektive des Publikums zu verschieben, gehören zu ihren gängigen Praktiken.
Wann warst du das letzte Mal im Solarium?
Ich war nur einmal im Solarium, nämlich kurz vor meinem Maturaball. Das war 1996.
Im Oktober feiert dein neues Stück „Sonne“ Premiere. Worum geht es?
Der Ausgangspunkt zu „Sonne“ war meine Beobachtung, dass sich mein Verhältnis zur Sonne stark gewandelt hat seit der Kindheit. Die Sonne wurde immer präsenter, natürlich auch in Hinblick auf die Klimakrise. Ich finde es auch spannend, dass es heute andere Zuschreibungen gibt als noch vor ein paar Jahrzehnten. Die Sonne scheint heute aggressiver – also zumindest wird ihr von Seiten der Menschen Aggression vorgeworfen. In dem neuen Stück werde ich tänzerisch erkunden, wie es mir dabei gehen würde, wenn man mir Aggression vorwerfen würde. Die Sonne ist von ihrer Rolle als Lebensbringerin weggerückt, hin zu einer Lebenszerstörerin, sie verbrennt Wälder, die verbrennt die Erde. Aber vielleicht will sie das ja gar nicht.
Unser Verhältnis zur Sonne hat sich definitiv gewandelt. Man versucht eben einen neuen Umgang mit ihr zu finden, sich abzuschirmen, sie für Energie zu nutzen. Wir sind aktuell noch in einer „Sonnencreme–Gesellschaft“, verwenden jetzt eben Lichtschutzfaktor 50, schirmen uns mit Rollos ab und kühlen uns mit Klimaanlagen. Aber im Grunde genommen brennt es schon unter unseren Nägeln,das wissen wir alle. Die Sonne selbst hat sich aber nicht verändert – wir haben verändert, wie sie auf uns einwirkt. Das Ende von uns ist nicht das Ende der Sonne – auch die Menschen sind nur temporär, die Sonne hat aber eine ganz andere Zeitdimension.
Wie näherst du dich im Stück diesem Shift in unserer Beziehung zur Sonne?
Ich versuche mich in die Sonne reinzuversetzen und ihr eine Präsenz auf der Bühne zu geben – einen Körper, eine Stimme. Sie landet auf der Bühne, besucht die Menschen, alle Anwesenden, die Performance ist eine Sonnenschau. Das Wort finde ich toll, weil man normalerweise ohne Sonnebrille nicht in die Sonne schaut. Mich kann man anschauen. Körperlich beschäftigt mich ihr Strahlen, ihre Hitze, ihre unglaubliche Kraft, die sie nicht zurückhalten, nicht bremsen kann. Es gibt eine Szene, in der ich versuche, mich mit zu löschen. Im Stück kommen auch persönliche Sonnengeschichten vor. Ein Meerschweinchen von mir ist zum Beispiel gestorben, weil ich vergessen habe, an einem heißen Sommertag den Meerschweinchenkäfig in den Schatten zu rücken.
In deinen Produktionen geht es viel um den menschlichen Körper, um Normen und auch um Nacktheit.
Nacktheit ist ein Kostüm und eine Möglichkeit, Bewegungen zu finden, die angezogen nicht möglich sind. Wenn du dich bewegst, erzeugst du Hitze – du bist also deine eigene Sonne. Du schwitzt, und wenn du Kleidung trägst, nimmt sie den Schweiß auf und wird nass. Wenn du nackt bist, geht alles direkt in den Raum. Mich interessiert Nacktheit jenseits von Ideologie oder Provokation. Wir werden alle nackt geboren, dann erst beginnen Kleidung, Mode und Diktate. Man beginnt sich dann oft für den Körper zu genieren – so kann Nacktheit ein sehr persönlicher politischer Akt sein. Mein Ausziehen hat weniger mit einem Bild zu tun, sondern mehr mit Bewegung. Ich zeige mich nicht nackt, ich bin nackt. Den Körper zu feiern, in seiner Möglichkeit, den Raum zu verändern – darum geht es mir. Ich finde das unglaublich befreiend.
Du arbeitest mit sehr vielen unterschiedlichen Menschen in deinen Produktionen zusammen, auch mit Laien. Wie partizipativ sind deine Produktionen angelegt – oder anders gefragt: Wie sieht ein klassischer Arbeitsprozess bei dir aus?
Natürlich sehr partizipativ! Man hat eben eine Idee im Kopf, und die teilt man dann. Es wird viel improvisiert und ausprobiert. Mir ist sehr wichtig, dass die Personen nicht das Gefühl haben, sie sind nur Ausführende, sondern dass wir den Weg gemeinsam gehen. Bei vielen Projekten, vor allem bei den Nackt-Projekten, wäre das sehr seltsam, wenn es anders wäre. Oder auch bei „Every Body Electric“, einem Stück mit Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen. Ich empfinde mich oft als ein Bewegungscoach und schaue, wie ich mit meiner Expertise die Leute wohin bringe – und wohin sie mich bringen. Es ist immer eine Prozesshaftigkeit, deswegen brauchen viele Produktionen auch länger in der Vorbereitung. Ich arbeite gerne mit Leuten zusammen, die ich schon kenne, dann ist man eingespielter.
Wie hierarchisch müssen Produktionen organisiert sein, damit sie funktionieren?
Meistens ist es schon eher so, dass man einen Prozess gemeinsam gestaltet, also zumindest in meiner Szene ist das so. Aber auch hier gibt es Hierarchien. Ich habe die Erfahrung gemacht, es braucht schon einen bzw. eine Kapitän: in, der/die quasi die Richtung vorgibt, sonst zerfließt und zerfällt alles meist rasch. Ich finde es wichtig, dass es eine künstlerische Leitung gibt, wobei da die Frage ist, mit welcher Sensibilität und welcher Empathie miteinander gearbeitet wird. Es braucht eben eine Person, die Entscheidungen trifft, die versucht herauszufiltern und zu destillieren – und dann auch geradesteht, wenn die Kritiker schreiben, das war ein Scheiß.
Wie geht es nun weiter mit den Menschen und der Sonne?
Im Anthropozän stellen wir Menschen uns mit dem aufrechten Gang und intellektuellen Entwicklungen in den Mittelpunkt der Welt. Wir müssen echt ein schlechtes Gewissen haben, allen Menschengenerationen der Zukunft gegenüber und allen anderen Lebewesen. Vielleicht gibt es genug technologischen Fortschritt, um eine Zeit lang mit der Hitze umgehen zu können. Vielleicht bauen wir unsere Städte unter der Erde, oder wir finden andere Lösungen. Aber ich glaube: Wir sind auch nur „Durchläufer“, es werden wahrscheinlich andere, wie Algen oder Mikroorganismen, immer mehr übernehmen. Wer weiß, was da noch alles wartet, vielleicht entsteht eine neue Welt durch die Hitze, aber wir haben in dieser Welt wohl keinen Platz mehr.