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© Samantha Tobisch
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Warum wir den Begriff Femizid nicht verschweigen dürfen

In Österreich tötet durchschnittlich alle zwei Wochen ein Mann eine Frau. Um die strukturelle Tragweite männlicher Gewalt sichtbar zu machen, stellen feministische Bewegungen die wichtige Forderung, Frauenmorde dezidiert als solche zu benennen. Doch nur sehr schleichend macht sich eine breitgesellschaftliche und mediale Bereitschaft bemerkbar, den Begriff „Femizid“ konsequent anzuwenden. Wie wir sprechen, steuert Wahrnehmung, kreiert Bewusstsein und formiert Widerstand. Der Term „Femizid“ veranschaulicht dies. Seine mangelnde Durchsetzung ist eines von zahlreichen Beispielen, die nahelegen, das zentrale Verhältnis von Sprache und Macht zu thematisieren.

Die Verflechtung von Sprache und Welt beschäftigt die Philosophie seit ihren Ursprüngen. Doch auch ohne jeglichen philosophiegeschichtlichen Exkurs lässt sich feststellen: Alles ist von Sprache durchdrungen. Ob verbal oder nonverbal, sobald wir interagieren, kommunizieren wir auch. Wir sprechen, gestikulieren, prusten, flüstern, zischen, pfeifen – all dies mit dem Ziel, uns zu verständigen. Sieh her, sagt das Zoon politikonAls Zoon politikon wird der Mensch als soziales, politisches Wesen bezeichnet., das bin ich, das denke ich, so nehme ich auf die Welt und meine Gemeinschaft Bezug.

„Sprache schafft Wirklichkeit. Doch wer spricht? Wer wird gehört? In wessen Worten wird gesprochen?“

Sprache und Handlung

Die Geschichte der Philosophie, sowie auch jeder anderen Wissenschaft, ist immer auch eine Geschichte der Lücke. Jahrhundertelang galt die Autorität des Mannes mit Bart, die sich in jeglicher Form des Sprechens und Denkens manifestierte. Das generische Maskulinum und andere patriarchale Auswüchse, in denen „männlich“ immer als die Norm zum weiblichen „Anderen“, „Irrationalen“ verstanden wurde, schlängeln sich hartnäckig durch Sprachentwicklung und Theoriebildung. Nicht-binäre Konzeptionen von Geschlecht bleiben in diesen Denktraditionen beispielsweise undenkbar, unaussprechbar und somit auch unsichtbar. Sprache schafft Wirklichkeit. Doch wer spricht? Wer wird gehört? In wessen Worten wird gesprochen?

Feministische, kritische Strömungen in der Sprachphilosophie und der sozialen Erkenntnistheorie befassen sich seit Jahrzehnten mit diesen Fragestellungen. Wichtige Anknüpfungspunkte sind Theorien, die eine starke Verbindung zwischen Sprechen und Tun herstellen. Äußerungen beschreiben nicht nur Sachverhalte, sie kreieren auch Handlungen. „Ich verspreche, die Wahrheit zu sagen,“ proklamiert Person X vor Gericht (oder dem Untersuchungsausschuss). Diese gesprochenen Worte haben einen bestimmten Effekt – nämlich den einer gerichtlichen Vereidigung, eines verbindlichen Schwurs. „Ja, ich möchte,“ mag in manchen Situationen eine unverfängliche Phrase sein, wohingegen sie in anderen Kontexten sexuellen Konsens kommuniziert. Sprechen ist also auch Handlung und Performanz.

John Austin John Austin (1962): How to Do Things with Words. Cambridge: Harvard University Press., einflussreicher Sprachphilosoph des 20. Jahrhunderts, bezeichnet dies als sogenannte „Sprechakte“. Sprechakte können jedoch auch misslingen, wenn die Aussage nicht die intendierten Effekte nach sich zieht. Feministische Sprachphilosoph:innen, allen voran Rea Langton Rae Langton (2009): “Speech Acts and Unspeakable Acts”. In: Sexual Solipsism. Philosophical Essays on Pornography and Objectification, edited by Rae Langton. 25-63. , analysieren, wie Mainstream-Pornos das Wort „Nein“ neu konnotierten. Ablehnung wird in diesen Darstellungen als Bestandteil des sexuellen Lustspiels verkauft. Das führt zu einer perfiden Verdrehung: Wenn eine Frau „Nein“ sagt, meint sie eigentlich „Ja“. Viele Mainstream-Pornos zeigen beispielsweise Bildmaterial, das Gruppenvergewaltigungen nahekommt. Die Deklarierung eines mehrmaligen „Neins“ der Darstellerinnen wird in diesen Szenen als lustvoller Ausspruch porträtiert. Die Message: Frauen haben Spaß an vergewaltigungsähnlichen sexuellen Spielen. Wenn sie „Nein“ sagen, ist das Teil einer sexuell positiv konnotierten Gewaltfantasie. Ein „Nein“ wird somit laut Langton in vielen realen Situationen verunmöglicht, da es nicht mehr als „Nein“ verstanden wird. Obwohl eine Frau die relevanten Worte der Ablehnung artikuliert, hat ihre Rede nicht den gewünschten Effekt. Fernab des Bildschirmes kann diese Form des „Silencings“ fatale Folgen haben, die von übergriffigen Situationen bis hin zu Vergewaltigungen reichen.

Sprache, Macht und Manipulation

Worte erzeugen Handlungen, liebkosen, schmeicheln, bringen uns zu- und aneinander. Doch Sprache ist immer mit sozialen Machtverhältnissen und Autorität verbunden. Worte können auch tadeln, disziplinieren, ausgrenzen und manipulieren. Moderne Formen von sprachlicher Propaganda werden beispielsweise unter dem Label der „Dogwhistles“ untersucht. Dogwhistles bezeichnen Ausdrücke, Assoziationsketten und sprachliche Strategien, die als versteckte Botschaften an ein bestimmtes Publikum gerichtet sind. Der Name „George Soros“ wird beispielsweise oftmals von der extremen Rechten benutzt, um antisemitische Verschwörungstheorien in Umlauf zu bringen, ohne diese explizit auszusprechen.

Nationalsozialistische Propaganda kreierte eine Vielzahl an Begriffen, die unserem Sprachgebrauch teilweise heute noch anhaften und deren problematische Konnotation nicht immer bewusst ist. Der Begriff „Kulturschaffende“ ist an dieser Stelle ein gutes Beispiel, wie die Kulturplattform Oberösterreich (KUPF) erst unlängst berichtete. Von vielen als politisch korrekte, genderneutrale Formulierung erachtet, wurde der Term ursprünglich vom NS-Regime hervorgebracht, um jene Künstler:innen zu benennen, die Teil der Reichskulturkammer waren. Wie nun umgehen mit solchen problematischen Begriffen? Inklusive und ideologiefreie Alternativen schaffen? Den Begriff neu konnotieren? Letztere Möglichkeit lehnt die KUPF ab und ruft zu einem Wettbewerb um einen neuen Begriff aus.

„Der Begriff „queer“ hatte lange abwertenden Charakter, nun dient er als positive Eigenbezeichnung.“

Und Worte verletzen auch. Sogenannte „Slurs“, wie das N-Wort, bezeichnen pejorative Begriffe, die Gruppen betreffen. Slurs sind Werkzeuge sozialer Unterdrückung. Ihre Verwendung perpetuiert Strukturen der Diskriminierung und normalisiert sprachliche sowie physische Gewalt. Doch sie können auch ein Mittel des Widerstandes sein, zum Beispiel durch eine sogenannte Slur-Reklamation. Betroffene Gruppen eignen sich pejorative Begriffe an und machen sie zu Identifikationsmarkern. Der Begriff „queer“ hatte lange abwertenden Charakter, nun dient er als positive Eigenbezeichnung. Frei nach dem Motto „if someone calls you a name, you take it and you own it,” wurde die ursprünglich diskriminierende Kategorie zur positiven Selbstbezeichnung. Als Initiator:innen dieser Umdeutung fungierten vor allem BiPOC-Communities, ein Umstand, der retrospektiv oftmals keine Erwähnung findet.

Sprachliche Lücken füllen

Doch nicht nur die Anwesenheit von Begriffen ist gefährlich, verletzend und diskriminierend. Eine Abwesenheit von Begriffen kann genauso problematisch sein. Wollen wir in Fällen von Propaganda, Slurs oder diskriminierenden Metaphern, wie beispielsweise „Flüchtlingsströmen“, sprachliche Wendungen loswerden, führen begriffliche Leerstellen in anderen Fällen zu Lücken in Eigen- und Fremdwahrnehmung. Miranda Fricker Miranda Fricker (2007): Epistemic Injustice. Power and the Ethics of Knowing. Oxford: Oxford University Press. , feministische Erkenntnistheoretikerin, analysiert, inwiefern eine Abwesenheit von Begriffen eine Hürde für kollektive Erfahrung und politischen Widerstand bedeutet. Als Beispiel führt sie die späte Einführung des Begriffes der sexuellen Belästigung („sexual harrassment“) an, der erst in den 1970er Jahren im Zuge feministischer Vernetzung Einzug in den Diskurs fand. Vor der terminologischen Spezifizierung dieser Art von Übergriff, fiel es Frauen schwer, über ihre traumatischen Erfahrungen zu sprechen. So waren sie tagtäglich Situationen ausgesetzt, für deren Charakterisierung es ihnen schlicht an Worten fehlte.

„Sexistische Darstellungen und Narrative erziehen Frauen beispielsweise zu der Annahme, Männern sexuelle Handlungen zu schulden, sobald sie einer Form von Intimität zustimmen. Konsens ist jedoch keine abgeschlossene Handlung, sondern ein Prozess.“

Auch der Begriff „date rape“ ist in diesem Zusammenhang interessant zu analysieren. In ihrem Buch I never called it rape (2019) bespricht Robin Warsaw die Erlebnisse der Studentin Lori, die im Zuge eines Dates vergewaltigt wird. Retrospektiv fällt es Lori schwer, die traumatische Erfahrung dieser Vergewaltigung als solche zu benennen. Kursierende kollektive Vorstellungen perpetuieren falsche Bilder von Konsens. Sexistische Darstellungen und Narrative erziehen Frauen beispielsweise zu der Annahme, Männern sexuelle Handlungen zu schulden, sobald sie einer Form von Intimität zustimmen. Konsens ist jedoch keine abgeschlossene Handlung, sondern ein Prozess.

Hinzu kommt das Problem, dass Vergewaltigungen oftmals nicht mit vertrauten, den Opfern nahestehenden Personen in Verbindung gebracht werden. Erst 1989, im Zuge einer Reform des Sexualstrafrechts unter Johanna Dohnal, wurden beispielsweise Vergewaltigungen innerhalb der Ehe strafbar. Die Einführung der sprachlichen Kategorien „Vergewaltigung in der Ehe“ und „date rape“ haben wichtige Konsequenzen. Sprachliche Lücken zu füllen, ist zentrales Mittel der individuellen, politischen und rechtlichen Sichtbarmachung von Erfahrungen. Frauen wie Lori verfügen über den sprachlichen Ausdruck der „Vergewaltigung“. Doch erst das Konzept „date rape“ ermöglicht es, diesen Begriff auch auf die eigene traumatische Erfahrung anzuwenden und begreifbar zu machen.

Oftmals drücken sich sprachliche Lücken weniger in einem Nichtvorhandensein von Begriffen aus, sondern in einer bewussten oder unbewussten Verweigerung, diese zu verwenden. Der Begriff „Femizid“ verdeutlicht diesen Umstand. Jahrelang und vereinzelt auch noch heute, prangten problematische Umschreibungen wie „Eifersuchtstat“ und „Beziehungsdrama“ von den Titelseiten. An dieser Stelle ließe sich in sprachskeptischem, Boomer‘schen Tenor nachfragen, ob die korrekte Bezeichnung eines Phänomens betroffenen Personen auch wirklich helfen kann. Dies muss vehement und lautstark mit „Ja“ beantwortet werden. Der Begriff „Femizid“ bezeichnet die Tötung von Frauen und Mädchen auf Grundlage ihres Geschlechtes. Nur eine konsequente Verwendung dieses Begriffes kann zu einer Entnormalisierung von männlicher Gewalt an weiblich gelesenen Personen führen, die durch „boys will be boys“-Mythen zu lange als gegeben hingenommen wurde. Femizide werden nicht zur Gänze aufhören, weil wir allmählich beginnen, diese als solche zu benennen. Aber wo ein Begriff identifiziert wird, da kann auch eine unterliegende Struktur ausgemacht werden und ein Mechanismus der Anerkennung, Reparatur und des Widerstandes ansetzen.

Oftmals kommt es einer philosophischen Berufskrankheit gleich, alles anhand von Begriffen lösen zu wollen. Richtige Bezeichnungen können und sollen natürlich nicht einziges Mittel politischen Widerstandes gegen unterdrückende gesellschaftliche Strukturen sein. Viele Probleme, die sich in unserer aktuellen politischen Landschaft abzeichnen, haben nichts mit Sprache zu tun. Dennoch ist es wichtig, das Verhältnis von Sprache und Macht immer wieder unter die Lupe zu nehmen. Sprache ist nicht nur performativ, wenn wir Eide schwören, uns vermählen oder Schiffe taufen. Jede Verwendung einer Redewendung, eines Begriffes oder einer sprachlichen Kategorie, ist die ständige Reproduktion sozialer Konventionen und Ausdruck dessen, wie wir uns auf die Welt und unsere Mitmenschen beziehen. Wir entscheiden uns laufend, wie und in welchen Begriffen wir sprechen, um soziale Prozesse und Phänomene zu benennen. Der performative Charakter von Sprache ist wesentlich von ihren Verwender:innen – uns allen – abhängig. Bemühen wir uns!


Wenn du als Frau Gewalt erlebst, kannst du dich kostenlos, anonym und rund um die Uhr an die „Autonomen Frauenhäuser Österreich“ wenden. Hier findest du eine Auflistung der 30 Frauenhäuser in Österreich. Zudem kannst du dich an die "Frauenhelpline gegen Gewalt" wenden: 0800 222 555. Das Angebot ist in mehreren Sprachen erreichbar.