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© Apollonia Theresa Bitzan
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Das Niemandsland der Wetterlagen - Wie Gewitter zur Bedrohung werden

In unserer Serie Klima & Prognosen sprechen wir mit Forscher:innen der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik über die Auswirkungen des Klimawandels. Mit Marc Olefs haben wir darüber gesprochen, warum es jetzt so wichtig ist, im Klimaschutz tätig zu werden. Mit dem Forscher Georg Pistotnik sprechen wir über Gewitter, Starkregen und Stürme und warum Wetterextreme in Zukunft weiter zunehmen werden.

Im Hochsommer führten Unwetter mit heftigen Regenfällen in Mitteleuropa zu Überflutungen. Die Folgen waren Tote, Verletzte und schwere Schäden an der Infrastruktur. Dass es in unseren Breitengraden schwere Gewitter mit Starkregen und Hagel gibt, ist an sich nichts Ungewöhnliches. Ungewöhnlich ist jedoch die Intensität und Häufung dieser Extremereignisse. Mit dem Klimaforscher Georg Pistotnik sprechen wir an einem sehr heißen und hochsommerlichen Tag an der ZAMG darüber, wie der Klimawandel auf Gewitter wirkt. 

Wir führen unser Gespräch im Büro des Wissenschaftlers, wo sich Topfpflanze an Topfpflanze reiht. Generell ein beobachtbarer Trend an der Wetterstation auf der Hohen Warte: Wahrscheinlich seien Meteorolog:innen einfach generell sehr pflanzenaffin, lässt sich Pistotnik zu einer These hinreißen. Seit er sich erinnern kann, faszinieren ihn Gewitter und so ist es auch nicht verwunderlich, dass er an der ZAMG vor allem in diesem Feld forscht.

In seiner Forschung nimmt der Klimawandel eine große Rolle ein. Immer deutlicher wird, dass Veränderungen im Klima unter anderem auch Gewitter verändern, vor allem ihre Folgen. Fragt man Einsatzkräfte von Feuerwehr bis Rettung, so wird schnell klar, dass die Schäden in Zusammenhang mit Unwettern immer schwerwiegender werden: „Die Niederschlagsintensitäten haben in Österreich in den vergangenen 30 Jahren etwa um 10% zugenommen. Gleichzeitig sind aber Schäden und Einsätze wegen Überflutungen und Hochwasser um ein Mehrfaches gestiegen.“

Hier prallen Klimawandel und zivilisatorische Entwicklungen zusammen, was in den kommenden Jahrzehnten ein riesiges Problem werden könnte.

Apollonia Theresa Bitzan

Gewitter im (Klima)Wandel 

Georg Pistotnik ist es wichtig, zu vermitteln, dass es in der Klimaforschung viele Unbekannte gibt. Welche Rolle der Klimawandel bei Naturkatastrophen spielt, damit beschäftigt sich die AttributionsforschungDie Attributionsforschung versucht zu erklären, wie viel der Klimawandel zu einzelnen Wetterereignissen beiträgt.. In den vergangenen Jahren hat sie an Bedeutung gewonnen und kann immer klarer Zusammenhänge belegen. „Ein Extremereignis alleine ist noch kein Hinweis auf den Klimawandel. Aber die Häufung von ungewöhnlichen Ereignissen deutet darauf hin, dass sich hier etwas verschiebt.“ 

Ganz klar sind jedoch die physikalischen Prozesse, die zum Beispiel bei Gewittern dazu führen, dass die Regenmengen und damit Überschwemmungen zunehmen: „Der Klimawandel bedeutet nicht nur eine Erwärmung der Erdatmosphäre, sondern auch, dass die wärmere Luft mehr Wasserdampf aufnehmen kann. Es ist eine unveränderliche physikalische Tatsache, dass es in einem wärmeren Klima stärkere und unregelmäßigere Niederschläge gibt.“

Apollonia Theresa Bitzan

Erhöht sich also die Lufttemperatur, hat das Folgen für die Niederschlagsmengen. Es ist aber nicht der einzige Effekt, der sich im Zusammenhang mit dem Klimawandel beobachten lässt: Durch das rapide Abschmelzen der polaren Eisschilder verändert sich auch der Jetstream. Er ist dafür verantwortlich, Wetterlagen von einem Punkt zum nächsten zu transportieren: 

„Der Jetstream ist ein Westwindband in größerer Höhe (5-10km), das Nord- und Südhalbkugel in mittleren Breiten umspannt. Durch den Klimawandel verschiebt sich der Jetstream näher zu den Polen. Im Sommer aber verläuft er oft so hoch nördlich, dass wir in Mitteleuropa nur noch von seinen Ausläufern oder gar nicht mehr von ihm beeinflusst werden. Dann bildet sich ein Niemandsland der Wetterlagen, in dem sowohl Hochdruck- als auch Tiefdruckgebiete längere Zeit liegen bleiben können.“ 

So sorgt der Jetstream normalerweise dafür, dass Tiefdruckgebiete weiterziehen und nicht tagelang in derselben Region hängenbleiben. Wird sein Einfluss auf unsere Wetterlagen schwächer, wird es wahrscheinlicher, dass an einem Ort ungewöhnlich viel Regen fällt – schwere Überschwemmungen sind dann die Folge.


Wie Flächenversiegelung und ertragsmaximierte Landwirtschaft das Problem verschärfen

Woran liegt es, dass das Ausmaß der Schäden stärker zunimmt als die Regenintensitäten an sich? Durch Flächenversiegelung, intensive Landwirtschaft und Eingriffe in die Natur sind wir verwundbarer geworden und den Folgen von Unwettern stärker ausgesetzt. Vor allem im Hinblick auf die Bodenversiegelung findet Georg Pistotnik klare Worte: „Es wäre ein Gebot der Stunde, Flächen zu renaturieren. Vor allem in Österreich, dem Europameister in Flächenversiegelung. Es sollte inzwischen jedem klar sein, dass die Kosten, die der Klimawandel mit sich bringt, auf lange Sicht die Kosten eines Rückbaus deutlich überschreiten.“

Bei schweren Unwettern und starken Regenfällen fließt das Wasser auf versiegelten Flächen sehr schnell ab und kann nicht in den Boden einsickern. Auch in der Landwirtschaft sei es an der Zeit, neue Wege zu gehen und die Bearbeitungsmethoden zu adaptieren: „Bei Maiskulturen zum Beispiel, wo das Wasser zwischen den Pflanzen sofort abrinnt, könnte man Zwischensaaten ausbringen, um das Abfließen von Wasser zu verlangsamen.“ Eine der Begleiterscheinungen der modernen Landwirtschaft sind enorm verdichtete Böden, die sich mit den Wassermassen schwer tun. 

Die Flächenversiegelung hat aber nicht nur Folgen für das Ausmaß der Gewitterschäden: Kann das Regenwasser nicht im Boden versickern, fehlt es Pflanzen und Tieren in folgenden Trockenperioden. 


Zu nah am Wasser gebaut?

Gerade in der Nähe von Flüssen und Bächen können heftige Gewitter und starke Regenfällen zu beachtlichen Schäden führen. Das ist vor allem deswegen ein Problem, weil Menschen sich historisch gerne in der Nähe von Wasser ansiedelten. Das liegt daran, dass diese geographische Nähe eigentlich sehr viele Vorteile hat: für die Bewässerung von Landwirtschaft, für die Energiegewinnung, für den Warentransport oder die Viehzucht. Für diese Vorteile nahm man gelgentliche Schäden durch Hochwasser in Kauf. Aber: „Die Balance aus Nutzen und Schaden verschiebt sich in Richtung des Schadens“, so der Forscher.

Um die Balance wieder ins Gleichgewicht zu bringen, so Georg Pistotnik, gäbe es zwei Methoden: Entweder, man gibt dem Fluss mehr Platz, damit er weniger Schäden anrichtet. Das heißt konkret, dass um Bäche und Flüsse im Idealfall keine Häuser stehen, sondern dass diese Flächen als Freizeiträume oder auch für die Landwirtschaft genutzt werden. Oder, wenn so ein Rückbau nicht möglich ist, weil zum Beispiel die gesamte Stadt um den Fluss herum gebaut ist, wird es notwendig, ausreichend große Rückhaltebecken oberhalb des Siedlungsraumes zu schaffen. 

Mit dem Klimawandel wird sich unser Verhältnis zu Bächen, Flüssen und Küsten wohl nachhaltig verändern. In Sachen Klimawandel haben wir jedoch vieles selbst in der Hand, das wird auch in unserem Gespräch mit dem Klimaforscher Marc Olefs klar. Wir können einerseits die Erderwärmung noch auf ein halbwegs vertretbares Maß eindämmen und uns andererseits besser auf seine Folgen einstellen. Und auch Pistotnik bestätigt mir: Modellierungen von Extremereignissen werden dank gesteigerter Rechenleistung und technologischem Fortschritt immer präziser. Die Klimaforschung macht riesige Fortschritte, wenn es darum geht, zu verstehen, was den Klimawandel verursacht, welche Folgen er hat und wo gegengesteuert werden kann. 

Georg Pistotnik führt mich und die Fotografin zu unserer nächsten Station an der ZAMG. Wir verlassen das pflanzenreiche Büro, um den nächsten floralen Raum zu betreten. Die Fallzahl ist zu gering, um hier Rückschlüsse auf alle Meteorolog:innen zu ziehen. Aber mein Bauchgefühl sagt mir: Da gibt es wohl einen Zusammenhang.