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OK, Generationen – Ist die Einteilung in Generationen relevant?

Als die australische Abgeordnete Chlöe Swarbrick im November 2019 eine Unterbrechung des oppositionellen Todd Muller mit einem abfälligen „OK, Boomer“ kommentiert und damit globalen Meme-Status erwirbt, ist sie 25 Jahre alt. Ihr Kommentar war, wie sie später sagen wird, exemplarisch für die kollektive Erschöpfung mehrerer Generationen mit den dogmatischen Einstellungen jener Generation, die nach den fehlenden Verhütungsmöglichkeiten ihrer Eltern benannt wurde.

Aus dieser Rebellion gegen eine zahlenmäßig übermächtige Bevölkerungsgruppe hat sich eine beliebte Heuristik für die Einteilung der Gesamtbevölkerung in Generationen entwickelt. Dazu befragt, kann jeder Mensch mit Geschichten aufwarten: Denn wer nach altersspezifischen Unterschieden sucht, wird mit Sicherheit fündig. Das Denken in Generationen holt uns in unserem generellen Bedürfnis nach Kategorien und Labels ab, nach Ordnung und Klarheit – analog zur Astrologie, mit der die unterkomplexe Verwendung von Geburtsjahren zur Erklärung einer Reihe von Phänomenen schon verglichen wurde.

Als Karl Mannheim 1928 in „Das Problem der Generationen“ die These niederschreibt, dass alle gesellschaftlichen Polarisierungen grundsätzlich auf generationale Differenzen zurückzuführen sind, bricht er mit der hegemonialen sozialwissenschaftlichen Erklärung, die dafür bislang Klassenverhältnisse ins Treffen führte. Neben der sogenannten generationalen Lagerung – dem Zeitpunkt der Geburt – verweist Mannheim noch auf den generationalen Zusammenhang, also die Partizipation an ähnlichen Erlebnissen, sowie die darauffolgende Generationseinheit, die jene unterschiedlichen Milieus bezeichnet, die als Reaktion auf ein prägendes Ereignis ähnliche Einstellungen herausbilden. „Man kann also nicht sagen, dass alle Menschen aus einem Geburtsjahr derselben Generation zuzuordnen sind. Es gibt innerhalb der generationalen Lagerung noch die Unterscheidung, wo auf der Welt ich war, an welchen Ereignissen ich teilgenommen habe und welche Orientierung ich als Reaktion darauf herausgebildet habe“, erklärt uns die Alterssoziologin Anna Wanka, die an der Goethe Universität in Frankfurt forscht. „Es ist also schon dann recht komplex, wenn man nur das Geburtsjahr als Ansatzpunkt für Generationenfragen heranzieht.“

So weit, so kompliziert. Die Alterssoziologie differenziert weiter nach Alters- und Lebenslaufeffekten, also den Einfluss des aktuellen Lebensalters und Lebenslaufs. Nur was uns in bestimmten Lebensphasen wie etwa dem Berufsanfang, der Familiengründung oder der Pension an Einstellungen von früheren oder späteren Generationen in derselben Lebensphase unterscheidet, kommt wirklich als Generationen- oder Kohorteneffekt und damit als Unterschied zwischen Angehörigen unterschiedlicher Generationen in Frage, der sich auch wirklich auf unterschiedliche Einflüsse zurückführen lässt.Stangl, W. (2022, 7. März). Kohorte – Kohorteneffekt . Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik. https://lexikon.stangl.eu/3930/kohorte-kohorteneffekt. „Welche Veränderungen tatsächlich auf die generationale Prägung nach Mannheim zurückzuführen sind, und welche nur auf Lebensphasen, wird in der Soziologie sehr stark diskutiert.“

In keinem Kontext generieren Annahmen über Unterschiede zwischen Generationen mehr Interesse als in der Arbeitswelt, da im Zeitalter von Filterblasen der Arbeitsplatz häufig der letzte Ort ist, an dem verschiedene Generationen regelmäßig aufeinandertreffen, Forderungen gestellt werden und Konflikte vorprogrammiert sind. Angestellte der Gen Z fallen damit auf, dass sie in Frage stellen, warum anstelle der Abarbeitung von gewissen Aufgaben eine bestimmte Zeit abgesessen werden muss. Wer tut das nicht. Aber wer tat es bislang schon laut? „Wir sehen in der Forschung zum Arbeitsmarkt, dass die Generationen nach den Babyboomern immer mehr einfordern in der Arbeitswelt, weil die Arbeit immer weniger identitätsstiftend wird“, sagt Anna Wanka dazu. „Daher haben sie auch mehr Freiraum, zu sagen: ‚Gut, wenn ihr mir etwas nicht gebt, dann gehe ich einfach woanders hin‘.“

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Als in einer landesweiten Erhebung aus 2015 Mitarbeitende österreichischer Unternehmen gefragt wurden, ob sie sich im Vergleich zu anderen Generationen benachteiligt fühlten, antworteten sowohl Boomer als auch Gen Y zustimmend. „Die einen sind im Wirtschaftswachstum aufgewachsen, für sie war es nie prekär. Währenddessen sagen die anderen, für die Jüngeren ist alles so flexibel.“ Vor allem Frauen, die in früheren Generationen Chancen stärker erkämpfen mussten, fühlten sich im Vergleich zu nachkommenden Generationen benachteiligt. Auch Anna Wanka räumt ein: „Ich sehe das auch in meiner Arbeit und meinen Mitarbeiter:innen, dass ich mir denke: So viel Urlaubsanspruch habe ich aber nicht gehabt. Aber genauso hat mein Chef damals auch über mich gesprochen. Er musste noch die Koffer von seinem Vorgesetzten tragen. Wahrscheinlich ist das eine Sache, die jede Generation über die nachfolgenden sagt.“

Lassen sich nun also wichtige Themen wie Haltungen zum Klima oder die Polarisierung durch die Pandemie mit dem Blick durch die generationale Brille erklären? Sowohl das Umweltverhalten als auch die dazugehörigen Einstellungen lassen sich Anna Wanka zufolge nicht so einfach auf Generationen ummünzen: Weder in Studien zu umweltschädigendem Verhalten noch zur Altersverteilung unter jenen, die gegen die Pandemie rebellieren, finden sich bislang Belege für den Vorwurf, dass Ältere oder Jüngere besonders negativ auffallen. „Ich sehe das als Scheinkonflikt, der sich gut instrumentalisieren lässt. Wenn Generationenkonflikte stark gemacht werden, wird häufig versucht, andere, dahinterliegende Konflikte zu verschleiern.“

Insbesondere bei der ultimativen Frage – der Verteilung von Wohlstand – sind Generationen ein zumindest fragwürdiges Mittel zur Erfassung unserer Realität. Wer heute alt ist, hat zwar die Jahre des Aufschwungs mitbekommen, wodurch viele Babyboomer tatsächlich ein kleines Vermögen anhäufen konnten, gleichzeitig sehen wir an den Rändern des Lebens – bei Pensionist:innen und Kindern – auch die höchsten Armutsraten. Ein Viertel aller Pensionist:innen bekommt nicht mehr als 900 Euro Pension. Zwar ist naheliegend, dass Jüngere von steigenden Preisen für Wohnraum und sinkenden Löhnen stärker betroffen sind, die Arbeitslosigkeit ist allerdings in der Generation 50+ am höchsten und für diese auch am Fatalsten. „Mit Generationen wird viel Marketing betrieben, auch im Arbeitskontext, indem sich Firmen so aufstellen, dass sie gewisse Generationen anziehen und andere nicht. Da sind wir dann eigentlich schon an der Grenze zur Altersdiskriminierung.“

Mit der steigenden Verwendung unvorteilhafter Zuschreibungen sinkt auch die Bereitschaft von Menschen, sich ihrer kalendarischen Generation zuzuordnen. Gerade der zunehmend negativ konnotierte Boomer-Begriff provoziert das Bedürfnis nach Abgrenzung: „Wir haben gesehen, dass sich Personen aus dieser Generation den Boomern lieber nicht zuordnen wollen, während Gen Z oder Y ihre Labels mit Stolz tragen.“ Hier spielt auch das subjektive Altersempfinden eine Rolle. Merkmale der Kategorie Alter werden, genau wie jener von Gender, auch performativ hergestellt, was Zugehörigkeiten zu Altersgruppen abseits des eigenen kalendarischen Alters schafft. „Bis 25 fühlen sich Leute eher älter. Dann gibt es einen Punkt, an dem sich das umdreht. In höheren Lebensaltern fühlen sich Menschen häufig bis zu 30 Jahre jünger, als sie kalendarisch sind.“ Auch der Boomer aus dem australischen Parlament zählt tatsächlich zur Gen X. Egal, fand auch Chlöe Swarbrick: „Boomer is a state of mind“.

Einer ähnlichen Argumentation bediente sich vor wenigen Jahren ein 69-Jähriger vor einem niederländischen Bezirksgericht in einem Ansuchen um eine offizielle Herabsetzung seines Alters um 20 Jahre: Da das Alter genau wie Geschlecht und Name einen Teil der persönlichen Identität ausmacht, sollte es ebenso veränderbar sein, wie es auch Name und Geschlecht sind. Als Begründung führte er an, dass er aufgrund seines Alters bei der Aufnahme von Krediten und in den Algorithmen von Dating-Apps Altersdiskriminierung erfahre, die seine Lebensqualität einschränke. Das Gericht urteilte: „Das aus dem Geburtsdatum abgeleitete Alter (…) sei zwar Teil der Identität. Aber Alter ist mehr als nur Identität.“https://uitspraken.rechtspraak.nl/inziendocument?id=ECLI:NL:RBGEL:2018:5102 Nicht ohne Grund seien Altersgrenzen in verschiedensten Gesetzen enthalten, sondern um bestimmbar zu machen, ob jemand bereits oder noch ausreichend in der Lage zur Ausübung bestimmter Handlungen sei. „In dem Moment, in dem ein fiktives Geburtsdatum angenommen wird, verlieren diese Grenzen ihre Bedeutung.“ Dem Kläger stünde frei, sich 20 Jahre jünger zu fühlen und entsprechend zu verhalten.https://uitspraken.rechtspraak.nl/inziendocument?id=ECLI:NL:RBGEL:2018:5102

Spannungen zwischen Generationen sind ein steter Begleiter der Menschheit und daher grundsätzlich als positiv zu betrachten, wenn es nach dem Demographen Norman B. Ryder geht, der dafür schon in den 60ern den Begriff des demographischen Stoffwechsels prägte: Die Gesellschaft als Organismus betrachtend, macht dieser Stoffwechsel Veränderungen unausweichlich. Ohne ihn würden sich soziale, politische und technologische Innovationen nicht durchsetzen. Mit jedem zunächst barbarischen Neuzugang (read: Baby), den sie eingliedert, konfiguriert sich die Gesellschaft neu.Norman B. Ryder 'The Cohort as a Concept in the Study of Social Change', in: Cohort Analysis in Social Research,Springer, pp. 9-44, https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-1-4613-8536-3_2.

Durch diesen grundsätzlichen Fortschritt kann auch leicht der Eindruck entstehen, wir befänden uns auf einem Marsch hin zu größerem Liberalismus, der sich nicht immer als wahr herausstellen muss. In „Generations: Does when you're born shape who you are“ schreibt der Professor für Public Policy Bobby Duffy, dass die Unterstellung eines kollektiven Liberalismus schlichtweg falsch sei: Sie verkenne die wenig liberalen Einstellungen, die nach wie vor in großen Teilen jüngerer Generationen vorhanden sind, und verschweige zur Gänze, dass wo man geboren ist in vielen Fragen nach wie vor wesentlich mehr Aussagekraft besitzt als wann. Häufig sei diese Unterstellung also eher der Ausdruck von Hoffnung älterer Generationen in die Fähigkeiten der nachkommenden: Die Annahme, dass diese im Kampf für bessere Lebensumstände erfolgreicher sein werde als man selbst, ermöglicht zumindest den Älteren, optimistisch in die Zukunft zu blicken.