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© Elena Anna Rieser
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Vertrauensbruch: Tausende fehlerhafte Kupferspiralen

Eigentlich müsste das „T“ zwei Ärmchen haben. Doch das, was Mareike F. Um laufende Verfahren nicht zu gefährden, hat sich die Redaktion entschieden, ein Pseudonym zu verwenden, auf der Toilette entgegenkommt, ist nur mehr ein Teil des Medizinprodukts. Ein mit Kupferdraht umwickeltes Stück Plastik, ein Ärmchen der T-förmigen Spirale fehlt. In diesem Moment realisiert die Studentin, dass etwas nicht stimmt. Schon ein paar Tage zuvor hatte sie Brustschmerzen, fühlte sich unwohl. Ihre Frauenärztin bestätigt den Verdacht: Mareike F. ist schwanger – trotz Verhütung.

Wie tausende Frauen in Österreich hat Mareike F. mit der Kupferspirale verhütet. Ein Medizinprodukt, das Ärzt:innen anstelle hormoneller Präparate vorschlagen. Der Draht, der die Ärmchen des „T“'s umschlingt, sendet Kupfer-Ionen aus, die Spermien unwirksam machen und die Schleimhaut an Gebärmutter und Muttermund so verändern, dass es nicht zur Befruchtung einer Eizelle kommen kann, vorausgesetzt, die Kupferspirale wird richtig eingesetzt und bleibt auch genau dort – in der Gebärmutter.

Auf der Internetseite des Unternehmens wird die Kupferspirale mit einem Pearl Index von 0,7 angepriesen. Der Wert beschreibt, wie sicher das Verhütungsmittel ist. 0,7 bedeutet: 7 von 1000 Frauen werden im Schnitt trotz dieses Verhütungsmittels schwanger. Verglichen mit der hormonellen Pille ist das viel. Verglichen mit anderen Verhütungsmitteln wie dem Kondom oder dem Vaginalring aber nach wie vor eine sichere Option.

Ungewollt schwanger, trotz Verhütung

„Ich wollte damals weg von der hormonellen Verhütung“, erinnert sich Mareike F., eine Freundin habe ihr vor drei Jahren die Kupferspirale empfohlen. Insbesondere die Goldspirale „T Mini“ der spanischen Firma Eurogine habe sie angesprochen. Die Vergoldung sorge für weniger Infektionen als herkömmliche Spiralen. Die Studentin zahlt etwas mehr als 300 Euro für den Eingriff. Bis zu fünf Jahre könnte die Spirale mit regelmäßigen Kontrollterminen bei der Frauenärztin jetzt im Körper bleiben. Doch es kommt anders.

Das Produkt von Eurogine ist nicht zuverlässig. 11 Modelle der Firma sind betroffen, darunter die Reihen „NOVAPLUS“, „GOLD T“ und „ANCORA“. Der Grund: Das Mischungsverhältnis im Kupfer ist fehlerhaft, sodass Teile der Spirale mit der Zeit spröde und brüchig werden. Die Folgen: Ungewollte Schwangerschaften, Schmerzen, spontaner Ausstoß der Spirale und sehr häufig ein Eingriff unter Vollnarkose, in dem die Gebärmutter ausgeschabt und Reste der Spirale entfernt werden müssen.

Behördenversagen: Tausende Frauen betroffen, nur wenige informiert

Im November 2021 liegen dem österreichischen Verbraucherschutzverein mehr als 1200 Beschwerden von Frauen vor, die Ähnliches erlebt haben. Obmann Peter Kolba schätzt die Anzahl der Klagen in Deutschland zehnmal so hoch ein. Die Dunkelziffer jener Frauen, die gar nicht wissen, dass sie eine fehlerhafte Spirale eingesetzt haben, schätzt er wesentlich höher. Denn die Informationspolitik des Unternehmens sei, gelinde gesagt, bescheiden gewesen: „Diese Rückrufaktion hat sich so gestaltet: Örtliche Vertretungen der Firma sind zu den Ärzten gegangen und haben gesagt: ‚Was habt ihr noch auf Lager?‘ Das haben sie zurückgenommen und dafür neue, hoffentlich ordentliche Spiralen hingegeben. Aber es hat niemand die Frauen, die es schon implantiert hatten, verständigt.“ Das wäre eigentlich Aufgabe der Frauenärzt:innen. Die können aber nur warnen, wenn es eine öffentliche Warnung gibt. Und die hätte die Republik Österreich veröffentlichen müssen, so der Jurist.

Im Februar 2018, ein halbes Jahr nachdem sich Mareike F. die Spirale von Eurogine in Österreich legen ließ, warnten spanische Behörden bereits vor dem Produkt. In Spanien wurden die Margen der betroffenen Kupferspiralen sofort vom Markt genommen. Im Dezember 2019 warnte in Deutschland das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte. Dessen Äquivalent in Österreich, das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen, informierte die Frauenärztinnen im Oktober 2019, stellte aber erst im September 2020 eine öffentliche Warnung aus.

(c) Elena Anna Rieser

Zu spät für Mareike F.: Die Medizinstudentin lebt zum Zeitpunkt des Bruchs in Wien, sie ist 27 Jahre alt. Es ist Februar 2021, die COVID-19-Pandemie ist in Österreich zum Alltag geworden. Beratungstermine für Schwangerschaftsabbrüche sind schwer zu vereinbaren, zu Untersuchungen darf ihr Partner oft nicht mit. „Ich war in einer psychischen Ausnahmesituation“, erinnert sie sich. Sie muss ihr Studium pausieren, im praktischen Jahr ist eine Schwangerschaft seitens der Universität verboten. Sie zieht nach Deutschland und bekommt das Kind, das eigentlich nicht geplant war.

Als period. im November 2021 mit Mareike F. telefoniert, ist ihr Sohn erst wenige Wochen alt. Dass es vermutlich sehr vielen Frauen so geht wie ihr, habe sie erst in der Schwangerschaft erfahren. „Als ich bereits im fünften Monat schwanger war, habe ich von der Ärztin, die sie mir eingelegt hat, einen Brief bekommen, dass diese Spiralen einen Produktionsfehler haben“, erzählt sie, „das war für mich dann ein bisschen zu spät.“ Die Informationspolitik der Behörden löst bei ihr Unverständnis aus: „Das kann ja nicht sein, dass ein medizinisches Produkt so lange auf dem Markt ist und ich jetzt erst darüber informiert werde. Zwei Jahre nachdem das eigentlich schon bekannt ist.“ Im Internet googelt sie nach Möglichkeiten, zu klagen und stößt auf eine Sammelklage des Verbraucherschutzvereins.

„Deutsche Anwält:innen berichten, dass Eurogine den Fehler zwar eingestanden habe, es Frauen aber sehr schwer mache, zu klagen.“

Jurist Peter Kolba erklärt: Obwohl das Unternehmen in Spanien sitzt, sei Österreich für die mangelhafte Informationslage verantwortlich. Frauen, denen die Spirale in Österreich eingesetzt wurde, können deshalb auch in Österreich klagen. Produkthaftung, heißt das Prinzip. Seine Strategie: Frauen, die eine Rechtsschutzversicherung haben, klagen individuell. Da seien bereits rund 20 Verfahren bei verschiedenen österreichischen Gerichten anhängig. Wer keine Rechtsschutzversicherung hat, könne sich einer Sammelklage anschließen. Auf außergerichtliche Einigungen oder Vergleichsgespräche habe das Unternehmen Eurogine noch nicht reagiert.

Die gebrochene Spirale einer betroffenen Frau aus Deutschland.

Und auch sonst verhalte sich das Unternehmen wenig entgegenkommend: Deutsche Anwält:innen berichten, dass Eurogine den Fehler zwar eingestanden habe, es Frauen aber sehr schwer mache, zu klagen. In Deutschland ist eine Klage auf Produkthaftung nicht möglich, hier müssen Frauen den Schadensersatz für angefallene Operationen, den Einsatz neuer Spiralen oder Krankenhausaufenthalte in Spanien einklagen. Das kostet Zeit und sehr viel mehr Geld für Reisen und Übersetzung. Dennoch bestätigt ein Anwalt aus München gegenüber period., eine Frauenärztin zu vertreten, die allein in ihrer Praxis mehr als 600 der fehlerhaften Spiralen eingesetzt habe. Fraglich ist, ob der Vertrauensverlust ihrer Patientinnen je wieder gut zu machen ist.

In Österreich wie in Deutschland ist je nach Fall ohnehin nur mit wenigen tausend Euro Entschädigung zu rechnen. „Den meisten Klägerinnen geht es nicht ums Geld“, sagt der österreichische Jurist Kolba, „sondern um diese ungeheuerliche Frechheit, dass über die Mängel eines so essentiellen Produktes erst so spät informiert wurde.“

Genderbias und Mandarinennetze

Die Kupferspirale ist ein Medizinprodukt. Im Gegensatz zu Arzneimitteln sind Medizinprodukte anderen Testverfahren ausgesetzt. Mangelhaften Tests, wie eine umfassende Recherche der Süddeutschen Zeitung mit den „Implant Files“ bereits 2018 zeigte. Angeregt wurde die Recherche durch die niederländische Journalistin Jet Schouten. Sie nahm ein einfaches Mandarinennetz, gab es als Vaginalnetz aus und bekam dafür von drei europäischen Teststellen eine Zulassung in Aussicht gestellt.

Die Recherche zeigte auch: Viele Medizinprodukte werden von Männern für Männer entwickelt, Frauen sind in Studien stark unterrepräsentiert. Deshalb würden diese unter schlechten Prothesen oder Implantaten mehr leiden als Männer, so das Journalist:innen-Team. Bisher gibt es in Deutschland erst eine Professur, die zu Genderbias in der Entwicklung von Medizinprodukten und Arzneimitteln forscht.

(c) Elena Anna Rieser

Das Geschäft mit den Zertifikaten sei ein Problem, so auch das Fazit der Süddeutschen Zeitung damals. Die sogenannten CE-Prüfstellen sind private Unternehmen, die bei Verweigerung eines Zertifikats befürchten müssen, dass sich große Konzerne mit ihren Medizinprodukten an andere Stellen wenden. Auch die betroffenen Kupferspiralen von Eurogine, in Deutschland vertrieben durch die Tomed GmbH, in Österreich durch die Angelini Pharma Österreich GmbH, haben ein solches Prüfsiegel: CE 0318. Es ist auf eine spanische Prüfstelle zurückzuführen. Wie genau geprüft wurde, das erfahren weder Ärzt:innen noch Patientinnen.

In Deutschland wie in Österreich seien die Behörden oft von der Lobby der Medizinprodukte gelähmt, bemängelten die Journalist:innen damals. Sie vertrauten darauf, dass Hersteller:innen selbst die Betroffenen informieren, Studien würden von der Industrie finanziert und das Zertifizierungssystem sei viel zu lasch. Im Fall der fehlerhaften Spiralen scheint es ähnlich: „Das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen hat sich bisher darauf berufen, dass kaum Beschwerden eingebracht wurden. Das ist aber nicht überraschend. Wenn man den Frauen nicht sagt, dass sie sich dort beschweren können, dann beschwert sich natürlich auch keine“, sagt Peter Kolba.



Auf die Bitte um eine Stellungnahme, warum nicht viel früher in anderen europäischen Ländern gewarnt wurde, reagiert das spanische Unternehmen Eurogine nicht. Dessen Geschäftsführer musste sich am 16. November in der Steiermark vor Gericht erklären. Es ist eines von zahlreichen Verfahren, die beim Verbraucherschutzverein anhängig sind. Sollte der Leiter des Unternehmens weiterhin verweigern, Geschädigten klare Kriterien für ihre Klagen vorzulegen, wird er weiter anreisen müssen. Ein Urteil wurde an diesem Tag im November noch nicht getroffen. Das Unternehmen habe sich nach Ansicht von Peter Kolba eher unkooperativ gezeigt.

Für Mareike F. geht es ebenfalls nicht um Geld: „Wenn ich vorher informiert worden wäre, hätte ich keine ungewollte Schwangerschaft durchleben und über ein Lebewesen entscheiden müssen. Von Verhütungsmitteln, die man sich einsetzen lässt, kann man erwarten, dass sie funktionieren. Geld oder eine Entschädigung sind die eine Sache. Vor allem aber wünsche ich mir Anerkennung dafür, dass dadurch eine Belastung entstanden ist.”